Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
sich schluchzend in seine Arme. Daniel kam hinterher, und Seth streckte die Arme aus und umarmte sie beide. Unterdessen kaute Beatrice auf ihrer Unterlippe und blickte zu Boden.
«Komm, der Arzt wartet», sagte Vivienne.
Beatrice ließ sich ins Schloss führen, ohne Seth anzusehen, der die Arme um seine Familie gelegt hatte.
«Bald ist das ganze Haus ein einziges Krankenlager», klagte Vivienne. «Alexandre ist ganz unleidig. Er hat sich den Fuß ein bisschen angeknackst und jammert wie ein kleines Kind. Und es ist erst ein paar Tage her, dass der englische Junge in die Stechpalme gefallen ist. Der Doktor kommt aus dem Rennen gar nicht mehr heraus.» Vorwurfsvoll sah sie Beatrice an. «Ganz zu schweigen von den Gästen, die auf Reitausflügen spurlos verschwinden. Wahrscheinlich hat es seit Jahrhunderten kein Fest mehr gegeben, das derart vom Unglück verfolgt war.»
«Hör auf, mir mit den Händen vor der Nase herumzufuchteln, dein Ring blendet mich», sagte Beatrice nur. «Seltsam, dass du es bei all deinen Sorgen geschafft hast, dich gestern Abend noch zu verloben. Ich schätze, du hast dich ganz einfach gezwungen, deine tiefe Angst um mich zu überwinden und ein kleines Verlobungsfest zu organisieren, nicht wahr?»
«Ach wo, ich hatte volles Vertrauen, dass Hammerstaal dich finden würde.» Vivienne gestikulierte wild. «Aufspüren, töten, verstümmeln – das sind die Dinge, auf die Jacques und er sich verstehen. Ich hab mir nicht die geringsten Sorgen gemacht, und außerdem war es meine Pflicht als Gastgeberin, die Stimmung irgendwie aufzuheitern.» Sie warf den Kopf in den Nacken. «Ich habe Monsieur Hammerstaal zum Dank dafür, dass er dich gefunden hat, den Hengst Hannibal geschenkt. Mit dem schrecklichen Vieh kommt außer ihm sowieso keiner zurecht.»
«Ist er nicht wunderbar?», fragte Beatrice leise.
«Ich schätze, du redest nicht von dem vierbeinigen Hengst», gab Vivienne zurück und betrachtete zufrieden ihren Ringfinger, an dem ein riesiger gelber Diamant glitzerte. «Gelbe Steine habe ich schon immer geliebt. Jacques wusste, dass ich so einem Ring nicht würde widerstehen können.» Sie sah Beatrice an und seufzte. «Ihr zwei seid wie füreinander geschaffen», sagte sie. «Das fand ich schon immer. Aber er ist immer noch mit dieser Amerikanerin verlobt. Und er hat dir schon einmal wehgetan. Hat er sich irgendwie über eure Zukunft geäußert?»
Missmutig schüttelte Beatrice den Kopf.
«Pah. Männer. Wer weiß, was in deren Köpfen vorgeht», sagte Vivienne.
«Lily, kann ich mit dir reden?» Seth trat ins Lesezimmer. Lily saß mit geradem Rücken auf einem Sofa, ein Buch in der Hand. Sie sah blass aus, und Seth spürte sein schlechtes Gewissen. Seine Verlobte hatte sich um ihn gesorgt, als er weg war, um eine andere Frau zu suchen, und jetzt würde er ihr noch mehr Kummer bereiten.
«Ja?» Sie legte das Buch auf den Schoß und sah ihm mit ruhigem Blick entgegen.
«Ich hoffe, du weißt, wie wichtig du mir bist?», begann er. «Wie viel mir schon immer an dir lag?»
Lilys Augen begannen feucht zu glänzen, aber sie lächelte weiter. «Mir liegt auch viel an dir, Seth», sagte sie sanft. «Auch schon immer.»
«Ich habe deinem Vater versprochen, mich um dich zu kümmern, und das habe ich auch vor, dafür gebe ich dir mein Wort. Weder Daniel noch du, ihr sollt euch niemals irgendwelche Sorgen machen müssen.»
«Danke», flüsterte sie.
«Aber wir können nicht heiraten.»
Lily sah ihn mit großen Augen an. «Nein?» Zu seinem Schrecken sah Seth, wie ihr ganz langsam die Tränen in die Augen stiegen und dann über ihre Wangen liefen. Er hätte nicht gedacht, dass er sich noch elender fühlen könnte, als ihm ohnehin schon zumute war, aber ganz offensichtlich war es doch möglich. Ein einziges Mal hatte er Lily weinen sehen, und das war beim Begräbnis ihres Vaters gewesen. Sie war keine Frau, die ihre Gefühle allzu offen zeigte.
Jetzt schluchzte sie, und Seth machte unbeholfen einen Schritt auf sie zu. Er zog sein Taschentuch heraus und hielt es ihr hin. Mit einem leisen Schniefen nahm sie es entgegen.
«Ich will dir nicht wehtun», sagte er kläglich. Der Blick ihrer türkisen Augen war unmöglich zu deuten, und Seth schluckte. «Entschuldige, Lily. Soll ich jemand holen? Irgendetwas?» Sie schüttelte den Kopf und schnäuzte sich.
«Ich will dich nicht traurig machen», wiederholte Seth. «Verzeih mir. Bist du sicher, dass ich nicht irgendjemand holen soll?» Ich würde zu
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