Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
gern das Zimmer verlassen, dachte er verzweifelt.
«Aber ich bin doch gar nicht traurig», brachte sie schließlich hervor. «Ich bin erleichtert.» Sie tupfte sich ein letztes Mal die Nase ab und legte die Hände wieder auf den Schoß. «Danke, Seth.»
Er starrte sie an.
«Ich habe mir solche Sorgen gemacht», fuhr sie fort. «Ich hätte dich nicht ein zweites Mal zurückweisen können. Wie gesagt, du liegst mir am Herzen, aber ich will dich auch nicht heiraten.»
«Nein?», fragte er dümmlich.
Eifrig schüttelte sie den Kopf. «Ich nehme an, dein Grund ist die Gräfin Rosenschöld?», sagte sie freundlich.
«Woher weißt du das?»
Lily zuckte mit den Schultern und knetete das Taschentuch. «Ich habe gesehen, wie du sie anschaust. Und ich habe einmal einen Brief von ihr gefunden. Aber das ist egal, denn ich liebe Alex.»
«Alex?» Seth merkte, wie er den Faden verlor.
«Prinz D’Aubigny», erklärte Lily. «Es ist schon seltsam», fuhr sie fort. «Ich habe meinen Mann nie geliebt. Für Männer habe ich wohl Zuneigung gespürt, aber niemals mehr.» Entschuldigend sah sie ihn an. «Verzeih mir», sagte sie mit einem schiefen Lächeln.
«Keine Ursache», antwortete er steif.
«Erst dachte ich ja, dass mir einfach nur seine Aufmerksamkeit schmeichelt. Er ist ein Künstler, ein Prinz, warum sollte er mich – eine ganz normale Amerikanerin – so interessant finden, dass er mich malen will?»
«Malen?», echote Seth verblüfft.
«Aber jetzt bin ich sicher, dass es Liebe ist», nickte Lily. Sie blickte auf ihren Schoß. «Aber Alex ist so ein Gentleman, er wollte nichts unternehmen, solange ich deine Verlobte bin.»
«Will er dich denn haben, Lily?», wollte Seth wissen. «Ich werde nicht zulassen, dass er dir wehtut.»
«Ich bin ein großes Mädchen», lächelte Lily. «Ich komme schon allein zurecht. Aber danke für deine Fürsorge. Du bist ein guter Mann, das bist du schon immer gewesen.» Sie stand auf und gab ihm sein Taschentuch zurück. «Ich hoffe, deine schwedische Gräfin weiß dich zu schätzen.»
Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange, und er umarmte sie automatisch. Es fühlte sich ganz natürlich an, immerhin waren sie seit zehn Jahren befreundet und würden es auch bleiben, dachte er. Da hörte er plötzlich einen leisen, erstickten Laut. Als er sich umdrehte, sah er Beatrice, die wie gelähmt auf der Schwelle stand. Hastig löste er sich aus der Umarmung, und Lily ließ die Arme fallen. «Beatrice», sagte er, doch der Schaden war bereits angerichtet.
Sie drehte sich um und rannte davon.
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40
Er holte sie kurz vor einer massiven Tür ein. «Beatrice, warte!», rief er.
«Kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?», rief sie zurück, ohne sich umzudrehen. Hastig drückte sie auf die Klinke, doch sie schaffte nur noch einen Schritt durch die Tür, da fasste er sie am Arm und hielt sie zurück.
«Lass mich los», zischte sie.
Seth sah sich um. Ausgerechnet in der Küche waren sie gelandet. Auf einem riesigen Eisenherd dampfte es aus zahllosen Töpfen und Kesseln. Hefeteig stand zum Gehen in Schüsseln, und große Kisten mit Gemüse und Meeresfrüchten stapelten sich auf den Arbeitsplatten. Seth sah sich den verblüfften Blicken der respekteinflößenden Küchenchefin, Marie Hersant, und ihres wohlgedrillten Stabes gegenüber.
«Raus mit euch», befahl er. «Alle.» Keiner rührte sich. «Sofort!», brüllte er.
Das Kommando hallte in der Küche wider, und die Kochmannschaft warf einen Blick auf Madame Hersant. Sie rollte mit den Augen, doch Seth wich und wankte nicht. Nach einem kurzen Kräftemessen mit den Blicken gab sich Marie geschlagen und nickte ihren Untergebenen zu, woraufhin sich diese aus der Küche zurückzogen.
«Monsieur», sagte sie in bittendem Ton und zeigte auf die köchelnden Töpfe. «Lassen Sie mich zumindest das Abendessen retten!»
«Nein. Gehen Sie raus und machen Sie die Tür hinter sich zu», befahl er. Marie sah aus, als wollte sie noch etwas sagen, doch sie gab auf und verließ die Küche.
«Du bist ja nicht ganz richtig im Kopf», giftete Beatrice.
Seth lächelte breit und zog sie an sich. «Wahrscheinlich nicht», gab er zu. «Aber du wirst mich trotzdem heiraten.»
«Was?» Sie riss die Augen auf. «Hast du völlig den Verstand verloren? Ich will dich nicht, du kriecherischer, verlogener Betrüger. Ich habe euch doch gerade eben noch gesehen, dich und deine amerikanische Lady. Du falscher, hinterhältiger …»
«Ich
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