Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
sie ihr langweilig. Vielleicht waren sie ihm ja doch zu schlicht? «Sie sind aus Platin», sagte sie schnell. Als sie im Geschäft gestanden hatte, hatte ihr der matte Glanz so gut gefallen, die verblüffende Schwere und ihre Schlichtheit, frei von jeglichen Ornamenten. Sie waren ihr unglaublich männlich vorgekommen, doch jetzt machte sie sich doch Gedanken. «Sie haben mich so an dich erinnert. Aber wenn sie dir nicht gefallen, musst du es sagen. Der Juwelier hat mir versprochen, dass ich sie umtauschen darf. Es gab auch noch andere.» Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus.
«Sie gefallen mir», unterbrach er sie heiser. Er befühlte die Manschettenknöpfe, ohne sie anzusehen. «Danke», sagte er leise.
Beatrice schlang ihm die Arme um den Hals und drückte sich an ihn.
«Heute Abend schläfst du hier», bestimmte er.
«Muss ich mich dann auf den Boden legen?», fragte sie lachend.
Er lächelte. «Ich hole den Champagner», sagte er und stand auf. «Du kannst ja inzwischen schon ins Schlafzimmer gehen und auf den Nachttisch gucken», rief er über die Schulter zurück.
Sie runzelte die Stirn und tat, was er ihr gesagt hatte.
Auf dem Nachttischchen stand ein Apfel. Er sah so naturgetreu aus, dass sie ihn erst für eine richtige Frucht hielt, doch als sie die Hand danach ausstreckte, entdeckte sie, dass er doch nicht echt war. Er schimmerte in verschiedenen roten und gelben Nuancen. Sie hatte keine Ahnung, aus welchem Material die Frucht, die lebensechten grünen Blätter oder der braune Stiel gefertigt waren, aber es war eine sehr exquisite kleine Skulptur. Als sie den Apfel in der Hand drehte, sah sie, dass am Stiel eine Kette – dünn wie Nähseide – hing. Und an der Kette hing ein goldener Ring. Sie blinzelte. Ein Ring.
«Gefällt er dir?» Er lehnte mit demselben Gesichtsausdruck am Türrahmen, den sie gehabt haben musste, als er ihr Päckchen öffnete und keinen Ton sagte.
«Komm und steck ihn mir an», sagte sie. Die übermächtigen Gefühle schnürten ihr die Kehle zu.
Seth setzte sich auf die Bettkante und steckte ihr den Ring behutsam auf den Ringfinger.
«Ich wollte den richtigen Ring finden», sagte er. «Als ich den hier sah, wusste ich, das ist er. Entschuldige, dass du so lange darauf warten musstest.»
Beatrice drehte die Hand hin und her und wackelte mit dem Finger. Der Stein war in Weißgold gefasst und funkelte auf eine Art, wie sie es noch nie gesehen hatte. Sie versuchte, die Tränen wegzublinzeln, die ihr die Sicht nahmen. «Was ist das für ein Stein?», wollte sie wissen. «Ein Saphir?»
Er schüttelte den Kopf. «Nur ein Diamant kann so glänzen.»
«Aber er ist doch blau.»
Seth wischte ihr mit dem Daumen eine Träne von der Wange. «Das sind die besten. Genau, wie du die Beste bist. Ich habe ihn hier in Paris bei einem Juwelier gefunden, der Schmuck für den russischen Hof herstellt. Er hatte diesen Ring für eine russische Fürstin angefertigt, aber ich konnte ihn überreden, das Schmuckstück mir zu verkaufen.»
Beatrice zog die Augenbrauen hoch, und Seth grinste. «Ich habe eine enorme Überzeugungskraft.»
«Ich liebe diesen Ring», sagte sie.
«Und ich liebe dich», murmelte er heiser.
Nach einer Weile war Seth eingeschlafen, doch nicht einmal im Schlaf ließ er sie los. Jedes Mal, wenn sie sich ihm entziehen wollte, protestierte er murmelnd, und zum Schluss resignierte Beatrice und schmiegte sich an seinen warmen, festen Körper, obwohl sie eigentlich gar nicht müde war. Hellwach blinzelte sie an die Decke.
Und dann tat sie, was jede andere Frau in ihrer Situation getan hätte.
Sie bewunderte ihren exquisiten Verlobungsring.
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42
Schloss Wadenstierna
Dezember 1882
«Wer war Aurore Löwenström?», fragte Seth.
Beatrice blickte auf. Sie saß auf einem kleinen Schemel auf dem Eis und fror erbärmlich. «Meine Großmutter», antwortete sie. «Aber sie ist schon lange tot.»
Sie waren bei beißendem Frost nach Wadenstierna gefahren, um die allerletzten Hochzeitsvorbereitungen zu beaufsichtigen. Ein paar Tage vor der Trauung wollten sie nach Stockholm fahren. In die Großstadt und in die Zivilisation, dachte Beatrice. Sie schauderte. Hier draußen musste es mindestens fünfzig Grad unter null haben. Die Dezembersonne schien wie ein gefrorener Diamant, und der Atem stand ihnen in kleinen weißen Wölkchen vor dem Mund. Sie hatte sich in Schals und Tücher gewickelt, während Seth wie immer keine Kopfbedeckung trug. Beatrice
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