Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
ihren beiden Kindern.»
Beatrice schüttelte den Kopf und versuchte ihr Handgelenk so zu bewegen, wie er es ihr gezeigt hatte. «Aber sie ist doch schon lange tot, und ich habe nie etwas bekommen.»
«Weißt du, wem das Haus in der Drottninggatan gehört?», fragte er.
Sie seufzte und zog an der verdammten Leine, die sich an irgendetwas verfangen zu haben schien. «Meinst du Onkel Wilhelms Haus?»
«Du hörst mir nicht zu», sagte Seth geduldig. «Als Aurore Löwenström starb, hinterließ sie ihre drei Immobilien ihren drei Enkeln, also je ein Haus für Sofia, Edvard und Beatrice.» Er sah sie an. «Das Haus in der Drottninggatan gehört dir. Und bei den heutigen Immobilienpreisen in Stockholm ist es mittlerweile ein kleines Vermögen wert. Ich würde sagen, du bist ziemlich reich.» Er sah sie mit einem wölfischen Grinsen an. «Wo ich doch immer unbedingt eine reiche Erbin heiraten wollte.»
Beatrice starrte ihn an und schwankte.
«Was ist?», fragte er.
«Ich glaube, es hat einer angebissen», konnte sie gerade noch sagen, dann wurde ihr Arm nach vorn gerissen, und sie fiel von ihrem Schemel.
*
Ein paar Tage später betraten Beatrice und Seth das Haus in der Drottninggatan. Sie wurden in einen Raum geführt, in dem schon der Landeshauptmann auf sie wartete. Nachdem sie sich begrüßt hatten, kam ein Dienstmädchen herein, knickste und sagte zu Beatrice: «Bitte sehr, gnä’ Frau.»
«Ich will mitkommen», bat Seth. «Wenn er dir etwas tut, wenn er dir auch nur ein Haar krümmt …» Sein Gesicht spiegelte seine Sorge wider. Sogar Hjalmar sah aus, als würde er sie am liebsten begleiten.
«Nein, ihr wartet hier», bestimmte Beatrice. Seth schien erst protestieren zu wollen, doch dann atmete er seufzend aus und sah sie ernst an. «Wenn du in fünf Minuten nicht zurück bist, dann gehe ich da rein und hole dich. Hörst du? Fünf Minuten …», er hielt die ausgestreckten Finger einer Hand in die Höhe, «… mit ihm allein, keine Sekunde länger. Und die Zeit läuft ab jetzt.» Er zückte seine Taschenuhr. Beatrice verdrehte die Augen, doch eigentlich war sie ganz froh, dass die beiden hier waren. Man wusste nie, in welcher Stimmung man Onkel Wilhelm antraf, und sie fühlte sich nicht ganz so keck, wie sie nach außen tat.
Trotzdem wollte sie das hier anpacken, und zwar allein. Das war ihr Kampf. Sie folgte dem Dienstmädchen durch das dunkle Haus, das über vier Jahre ihr Zuhause gewesen war. Ein Zuhause, in dem sie nicht selten unglücklich gewesen war, in dem sie eingesperrt, bestraft und geschlagen worden war … Bisher war es ihr nie so bewusst gewesen, aber sie hasste dieses Haus.
Aufmerksam sah Wilhelm sie an, als sie eintrat. Er machte sich nicht die Mühe aufzustehen. «Was willst du hier?», fragte er.
«Ich weiß, dass mein Besuch hier nicht erwünscht ist, deswegen werde ich mich kurz fassen.» Sie sah ihn kühl an und wartete, bis sie seine ungeteilte Aufmerksamkeit hatte.
Ihr Onkel lehnte sich zurück. «Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was du hier zu suchen hast. Du hast dich mit deinen offenen Hurereien in Stockholm unmöglich gemacht. Die Leute reden nur noch davon, dass du heiraten wirst, bevor das Trauerjahr für den Grafen verstrichen ist. Ich schäme mich, dich zu sehen, und im Grunde hätte ich gute Lust, dich gleich hinauswerfen zu lassen.»
Beatrice lächelte freudlos. «Nein, du bist derjenige, der hier hinausgeworfen wird», stellte sie fest. «Pack deine Koffer. Bis spätestens heute Abend bist du aus diesem Haus verschwunden.»
Wilhelm starrte sie an. An seiner Schläfe begann eine Ader zu pochen. Plötzlich sprang er auf und beugte sich über seinen Schreibtisch, und Beatrice musste sich zusammenreißen, um nicht zurückzuzucken, als ihr die vertraute Verachtung entgegenschlug wie ein physischer Schlag. «Hast du den Verstand verloren?», fauchte er.
Sie richtete sich auf, straffte die Schultern und dachte daran zurück, wie er sie in diesem Zimmer immer geschlagen hatte. Mit dem Stock. Mit der Rute und dem Rohrstock. Wie er sie verhöhnt und bestraft hatte, wie er sie hatte hungern lassen. «Nach Angaben des Landeshauptmanns kann ich dich auf Schadenersatz und Zinsen für den Mietausfall verklagen», erklärte sie. «Aber wenn du das Haus unmittelbar räumst, werde ich davon absehen.»
«Du bist doch verrückt», brüllte er. «Was werden die Leute sagen? Und denk doch mal an Sofia! Sie wird am Boden zerstört sein. Hast du vergessen, dass das
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