Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
musste über seine Widerspenstigkeit lächeln.
Beunruhigt hatte sie ihrer Rückkehr nach Schweden entgegengesehen und sich während der Heimreise von Paris die ganze Zeit gefragt, was sie wohl erwartete, nachdem sie vor vielen Monaten praktisch aus ihrer Heimat geflohen war. Doch ihre Sorgen hatten sich als unbegründet erwiesen. Seth, der wie immer ihre Gefühle erahnt hatte, hatte es so eingerichtet, dass sie von mehreren Freunden erwartet wurden, als sie auf Wadenstierna ankamen.
Mary war da, ihre geliebte und schwervermisste Mary, und das Wiedersehen war überschwänglich. Sofia und Johan kamen kurz darauf zu Besuch, und sogar Olav und Christian reisten an.
In den Wochen vor der Hochzeit hatte sich Beatrice nicht selten bei dem Gedanken ertappt, ob man wirklich so glücklich sein durfte. Vom jetzigen Moment vielleicht abgesehen. Sie zog sich ihren Schal fester um den Hals, während sie ihren Verlobten wütend anfunkelte. Ihrer Meinung nach hatte er eine sehr ungesunde Einstellung zu Unternehmungen im Freien. Am Morgen hatte er sich eingebildet, dass er ihr das Angeln beibringen wollte. Den ganzen Morgen hatte er davon geredet, wie befriedigend es doch sei, sein Essen selbst zu fangen, und ehe sie sich’s versah, stand sie auch schon draußen auf dem Eis, so dick bekleidet, dass sie sich kaum bewegen konnte, und sah zu, wie er ein großes Loch ins Eis bohrte. Dabei behauptete er im Brustton der Überzeugung, dass sie genügend Fische fangen würden, um beim Abendessen alle satt zu werden.
Beatrice warf einen verstohlenen Blick auf den einsamen Barsch, der steifgefroren neben ihnen lag. Wenn das in diesem Tempo weiterginge, würde das Tauwetter einsetzen, bevor ihr Abendessen annähernd gesichert wäre, dachte sie düster. Sehnsüchtig blickte sie zum Schloss. Aus mehreren Schornsteinen stieg der Rauch. Bestimmt hatte jemand gerade eine Kanne warme Schokolade gekocht, vielleicht auch Brot gebacken und außerdem ein Feuer angezündet. Seufzend und fröstelnd kehrte sie in die eiskalte Wirklichkeit zurück und hoffte, dass ihr zukünftiger Mann nicht die Absicht hatte, sie hier draußen erfrieren zu lassen.
«Warum fragst du nach meiner Großmutter?», wollte sie wissen und schlug demonstrativ die Arme um den Oberkörper, um sich zu wärmen.
Seth lachte. «Chérie, es hat höchstens ein Grad unter null, und es ist völlig windstill.»
«Liebling, ich bin nun mal ein Stadtkind mit Leib und Seele.» Beatrice schlotterte. «Und ich mag Fisch nicht mal besonders. Vor allem dann nicht, wenn er Augen hat. Und Gräten. Wollen wir nicht lieber nach Hause gehen?»
Doch Seth schüttelte den Kopf. «Mit der Einstellung musst du verhungern. Erzähl mir etwas von deiner Großmutter, das interessiert mich. Und halte die Hand gerade, mit so schlaffen Handgelenken fängst du nie einen Fisch.»
Beatrice verbiss sich einen Kommentar über Unternehmungen an der frischen Luft im Allgemeinen und Eisfischen im Besonderen und beantwortete stattdessen seine Frage. Vielleicht kamen sie ja schneller wieder nach Hause, wenn sie ein bisschen entgegenkommend war. «Großmutter Aurore hatte zwei Kinder. Meinen Vater und Onkel Wilhelm. Sie war das schwarze Schaf der Familie.» Beatrice ruckte ein bisschen an ihrer Schnur (oder der «Leine», wie Seth sie mit fachmännischer Überlegenheit genannt hatte) und merkte, dass unter dem Eis etwas an ihrer Angel zog. «Sie kam aus einer vornehmen Familie», fuhr sie fort. «Und sie heiratete jung, doch sie war unglücklich und verursachte einen riesigen Skandal, als sie ihren Mann und ihre Kinder verließ und ins Ausland zog. Ich habe sie nie kennengelernt, aber sie soll sehr exzentrisch gewesen sein.» Beatrice zog eine Grimasse und ruckte noch einmal an ihrer Angel. «Man hat mir gesagt, dass ich ihr ähnlich sein soll.»
«War sie reich?»
«Sie brauchte sich ihr Abendessen jedenfalls nicht selbst zu angeln», murmelte Beatrice.
«Frische Luft ist gesund», erwiderte Seth unbekümmert. «Und jetzt hör mal zu, ich muss dir etwas erzählen. Letztes Jahr beschloss ich, ein wenig über deine Familie in Erfahrung zu bringen. Vor allem wollte ich über Edvard Bescheid wissen, aber dabei habe ich auch eine Menge über Wilhelm gehört.» Seth korrigierte die Haltung ihres Handgelenks. «Meine Leute waren sehr gründlich. Aurore stammte tatsächlich aus einer vornehmen Familie und war sehr reich. Und exzentrisch, denn als sie ihr Testament verfasste, hinterließ sie alles ihren drei Enkeln statt
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