Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
wollte. Er drückte ihre Finger.
«Ja», sagte er. «Das tue ich.» Und dann konnte er es sich einfach nicht verkneifen – nicht, wenn sie gleichzeitig so verblüfft, verlegen und erregt aussah. Er zog sie fest an sich, bis seine Lippen über ihr Haar strichen, so leicht wie die Berührung eines Schmetterlingsflügels. Zögernd streichelte er ihr den Rücken und sog ihren würzigen Duft ein – Moschus, Kardamom und Vanille. Weiter konnte er schlecht gehen, da sie von zweitausend Gästen umgeben waren. Die Musik verstummte, und sie blieben stehen. «Der Tanz ist vorbei», flüsterte er. «Ich bringe Sie zurück zu Ihrer Familie.»
Graf Rosenschöld schlich sich zur Familie Löwenström, ohne dass Beatrice ihn bemerkte. Als er sie kühl um einen Tanz bat, warf Onkel Wilhelm sie geradezu in seine Arme, und sie hatte keine andere Wahl, als zu gehorchen und ihre Hand in seine zu legen. Es entging ihr nicht, dass die Hände des Grafen Rosenschöld beim Tanz über ihren Rücken wanderten, was sie allerdings nicht im Geringsten erregend fand. Der Mann roch zudem stark nach Alkohol, und seine hellen Augen glänzten auffällig.
Nach einer halben Ewigkeit verstummte das Orchester endlich, und erleichtert versuchte sich Beatrice aus dem Griff des Grafen zu befreien. Sie war fest entschlossen, nicht noch einmal mit ihm zu tanzen, egal, was ihr Onkel sagte. Doch der Graf ließ sie nicht los.
«Seien Sie so freundlich und lassen Sie mich zu meiner Familie zurückgehen», bat sie, zog ihren Arm weg und setzte eine Miene auf, von der sie hoffte, dass sie als artig durchging.
«Ich hatte gehofft, dass wir zwei noch ein wenig Zeit miteinander verbringen», protestierte er, ohne sie loszulassen. Obwohl er betrunken war, war sein Griff erbarmungslos fest.
«Ich weiß nicht, wie Sie auf diese Idee kommen», entgegnete sie. «Seien Sie so gut und lassen Sie mich los, Sie tun mir weh.» Der Graf sah sie kalt an und wirkte auf einmal gar nicht mehr betrunken, sondern einfach nur grausam. Sein Griff wurde noch fester, und Beatrice versuchte schockiert, sich von ihm loszureißen.
«Du hast gehört, was sie gesagt hat, Rosenschöld», ertönte da eine schneidende Stimme hinter ihr. «Lass sie los.» Beatrice wandte den Kopf und begegnete Seths Augen, die schwarz vor Zorn waren.
«Misch dich hier nicht ein», zischte der Graf, doch immerhin ließ er ihren Arm los.
«Ist alles in Ordnung, Fräulein Löwenström?», erkundigte sich Seth förmlich.
«Ja», erwiderte sie und sah ihn verunsichert an. Sein Gesicht war so ausdruckslos, dass man nicht einmal ahnen konnte, was er fühlte. Nur sein Zorn war schwer zu übersehen.
Seth hielt ihr den Arm hin, und sie hakte sich hastig unter. Schweigend begleitete er sie zurück zu Harriet und Wilhelm.
Beatrice wagte nicht, sich umzudrehen, um zu sehen, wohin der Graf verschwand, und sie mied tunlichst Onkel Wilhelms Blick, als sie bei ihm ankam. Wieder hatte sie einen Fauxpas begangen, den er ihr nie verzeihen würde. Einem Grafen den Rücken zuzudrehen war sicher schlimmer, als heimlich Skandalromane und linkspolitische Tageszeitungen zu lesen. Ohne ein weiteres Wort ließ Seth sie stehen und verschwand.
«Was hast du getan?», fauchte Onkel Wilhelm sie an.
«Nichts», antwortete sie und ließ sich auf einen Stuhl sinken, bevor ihre Beine versagten. Für ein Getränk hätte sie in diesem Moment einen Mord begehen können. «Mir tun nur die Füße weh.» Niedergeschlagen starrte sie auf den Boden.
«Fräulein Beatrice?» Sie hörte die Stimme, und gleichzeitig wurde ihr ein eisgekühltes Getränk hingehalten. Verwundert blickte sie auf und sah Seth direkt in die Augen. Dabei war sie ganz sicher gewesen, dass er ihr den Rest des Abends aus dem Weg gehen würde.
«Danke, Sie können wirklich Gedanken lesen», sagte sie und hoffte, dass er bei ihr bleiben würde. Doch er nickte ihr nur kurz zu und verschwand wieder. Nachdenklich sah sie seinem breiten Rücken nach, während sie an dem leicht sprudelnden Getränk nippte. Sie hatte noch nie einen Menschen getroffen, aus dem sie so wenig schlau wurde.
Ein Weilchen später stand Beatrice auf, drückte den Rücken durch und nahm die Schultern zurück, sie wollte um jeden Preis den Anschein erwecken, es sei ihr völlig gleichgültig, dass sich Seth am anderen Ende des Saales mit einer Frau in weinrotem Kleid mit funkelnden Sternen im Haar unterhielt. Sie lachten über irgendetwas, und Beatrice erkannte mit einem schmerzhaften Stich in der
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