Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
der Gäste wandten sich ihm zu.
«Unsere Familie ist sehr stolz und glücklich über die Verbindung unserer Tochter mit der Familie Stjerneskanz», verkündete er. «Und ich habe das große Vergnügen, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass auch meine Nichte, das ältere Fräulein Löwenström, einen Antrag bekommen hat, der uns zutiefst ehrt.»
Beatrice spürte, wie ihr das Blut buchstäblich in den Adern gefror. Wollte er tatsächlich …? Panisch sah sie sich um, als könnte sie in letzter Sekunde einen Weg finden, den tödlichen Schlag zu verhindern, doch es war zu spät.
«Es ist mir eine Ehre zu verkünden, dass eine angesehene Persönlichkeit, der hochverehrte Graf von Rosenholm, Graf Rosenschöld, den Sie sicher alle kennen, Beatrice die Ehre erwiesen hat, um ihre Hand anzuhalten. Leider kann der Graf heute Abend nicht selbst anwesend sein, aber ich bin sicher, er hätte nichts dagegen, dass ich in diesem Rahmen die tiefe Dankbarkeit meiner Familie bekunde. Wir könnten nicht glücklicher sein, das war mehr, als man hätte hoffen dürfen.»
Schweigen im Saal.
Beatrice wagte nicht aufzublicken. Als der Schock der Anwesenden in kaum verhohlene Schadenfreude überging, hörte man vereinzeltes Gekicher.
Niemals hatte sie sich heißer gewünscht, der Boden möge sich unter ihr auftun oder eine Falltür zu ihren Füßen sich öffnen und sie schlucken, damit sie sich den Blicken entziehen könnte, die jetzt auf sie gerichtet waren.
Bei all den Menschen wurde es immer wärmer im Saal. Man sollte wirklich etwas frische Luft hereinlassen, dachte sie matt. Sie griff sich an den Bauch, während sie verzweifelt ihre Lungen mit Sauerstoff zu füllen versuchte und gleichzeitig gegen eine Übelkeit ankämpfte. Das Korsett saß ihr um den Brustkorb wie ein Stahlkäfig, und sie bekam kaum noch Luft. Die Stimmen rundum klangen immer verzerrter. Langsam schrumpfte ihr Blickfeld zusammen, jetzt sah sie alles nur noch verschwommen und mit einem schwarzen Rand.
Dann verlor sie den Boden unter den Füßen.
Seth sah Beatrice wanken und reagierte, ohne nachzudenken. Kurz bevor sie auf dem Boden aufschlug, fing er sie auf. Olav war fast gleichzeitig zur Stelle. Der Priester sah Seth, der die ohnmächtige Beatrice im Arm hielt, fragend an. Seth zeigte nur auf eine Tür, und Olav bahnte ihnen einen Weg aus dem stickigen Saal durch eine Seitentür in einen angrenzenden Ruheraum.
«Wir sollten jemand holen», meinte Seth. Behutsam legte er Beatrice auf eine Chaiselongue. Sie war bleich, atmete aber regelmäßig.
«Wusstest du es?», fragte Olav. Seth nickte. «Aber … ich dachte, ihr zwei …?», begann Olav zögernd.
«Wie du gerade gehört hast, hat sie andere Pläne», schnitt Seth ihm das Wort ab.
Die Geräusche aus dem Ballsaal waren noch durch die geschlossene Tür zu hören, doch Mary fand es schön, ein bisschen herauszukommen, als der norwegische Priester sie holte und ihr erzählte, was geschehen war. Sie war nicht sonderlich überrascht. Beatrice hatte schon den ganzen Abend über so einen gehetzten Blick gehabt, und Wilhelms Rede war einfach grässlich gewesen.
Als sie nun an die Chaiselongue trat, begannen Beatrices Augenlider zu flattern.
«Ich bin hier», sagte Mary sanft und nahm ihre Hand.
Eine Sekunde lang wirkte Beatrice desorientiert, doch dann stöhnte sie nur leise. «Ich kann es nicht glauben. Was ist denn passiert?»
«Du bist ohnmächtig geworden», antwortete Mary.
Beatrice schloss die Augen und legte den Handrücken auf die Stirn. «Ich hab mich noch nie so geschämt. Ich kann da nicht wieder rausgehen. Was soll ich tun?»
Mit schmerzendem Herzen blickte Mary auf ihren ältesten Schützling. Sie hatte gesehen, wie Beatrice sich auf Gröndal in Seth verliebt hatte. Selbst ein Blinder hätte es mitbekommen müssen, und eine Weile hatte es ja auch ganz danach ausgesehen, als wäre ihr endlich ein bisschen Glück vergönnt. Doch offenbar wollte es das Schicksal anders.
«Du gehst jetzt da raus und nimmst eventuelle Glückwünsche mit einem höflichen Lächeln entgegen», bestimmte sie. «Du hast noch nie gekniffen.»
Beatrice stöhnte.
«Und wenn das Abendessen aufgetragen wird, dann wirst du etwas essen, junge Dame», fuhr Mary fort. «Ich sehe dir schon seit drei Wochen beim Hungern zu. Es reicht jetzt.»
Beatrice lächelte über die Ermahnungen. «Was würde ich ohne dich nur tun?»
Mary schüttelte den Kopf, doch sie musste ihre Besorgnis verbergen. Sie fragte sich, ob Beatrice klar war,
Weitere Kostenlose Bücher