Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
zischte Rosenschöld an ihrer Seite. «Sieht aus, als hätte jemand einfach die Farbe von seiner Palette gekratzt und damit auf der Leinwand herumgefuhrwerkt.»
Sie tat so, als würde sie ihn gar nicht hören, und ging weiter. Bald, hämmerte es in ihrem Kopf – dasselbe Mantra, das sie innerlich wiederholte, seit sie ihren Brief abgeschickt hatte. Bald.
«Madame Stjerneskanz!»
Beatrice sah, wie Sofia sich umdrehte, als sie die französische Stimme hörte. Fröhlich winkte ihre Cousine der Frau zu, die ihren Namen gerufen hatte. Beatrice beobachtete, wie sich eine äußerst mondäne Gesellschaft über den schwarz-weißen Marmorboden näherte. Sie erinnern fast an ein impressionistisches Gemälde, dachte sie. Frauen in sommerlichen Kleidern wurden von gutgekleideten Männern begleitet, und ihr Lachen hallte von der gewölbten Decke wider. Die Frau, die nach Sofia gerufen hatte, war klein und exquisit in Volants und Tüll gekleidet.
Plötzlich entdeckte Beatrice ein bekanntes Gesicht in der Gesellschaft. Eifrig winkte sie dem gutgekleideten Mann mit den bernsteinfarbenen Augen zu. «Monsieur Denville, so eine Überraschung», rief sie, ohne sich um den warnenden Blick des Grafen zu kümmern.
Jacques Denvilles Gesicht hellte sich auf, und er kam zu ihnen. Sie stellte ihn rasch vor, und er verbeugte sich vor dem Grafen.
«Monsieur», sagte er, bevor er sich mit einem Funkeln in den Augen an Beatrice wandte. «Darf ich Ihnen meine gute Freundin vorstellen – Madame Vivienne de Beaumarchais.»
So, so, das ist also Beatrice, dachte Vivienne interessiert.
Sie wusste nicht so recht, was sie von der rothaarigen Schwedin halten sollte. Sie war hochgewachsen – diese schwedischen Frauen waren wirklich groß –, doch sie hatte eine so anmutige Haltung, dass viele Pariserinnen nur sehnsüchtig hätten seufzen können. Ihr Haar ließe sich mit Hilfe einer geschickten Französin sicher vorteilhaft frisieren – in Schweden schien ja keiner zu wissen, wie man sich eine anständige Frisur machte. Die Sommersprossen waren ein bisschen zu zahlreich, doch sie hatte immerhin Verstand genug, nicht daran herumzubleichen. Die dunklen Kleider waren einfach nur eine catastrophe totale , aber insgesamt war sie eine interessante Bekanntschaft mit ihrer melodischen Stimme und den intelligenten Augen. Und ihr Französisch war überraschenderweise ohne Fehl und Tadel.
«Vivienne hat von einem skandalösen Gemälde gehört, das sie absolut sehen wollte.» Jacques hob ihre Hand an den Mund und küsste ihr die Fingerspitzen. «Und Viviennes Wunsch ist mir Befehl.»
Ungerührt versetzte sie ihm einen Klaps mit ihrem Fächer. Alles zu seiner Zeit, und eigentlich hatte sie schon immer lieber Menschen studiert als Gemälde. Sie wandte sich an die beiden Frauen. «Wir fahren nächste Woche weiter nach Uppsala. Dort wollen wir uns so einen zornigen schwedischen Dramatiker anhören, der ein Stück aus seinem Roman vorlesen wird. Aber ich habe hier in Stockholm ein kleines Haus gemietet und veranstalte morgen eine Soiree. Es wäre schön, wenn Sie auch kommen könnten.»
Beatrice und Sofia nahmen die Einladung an, und nach kurzem Geplauder ging die kleine Gruppe davon. Vivienne sah ihnen nachdenklich nach. Mademoiselle Beatrice machte auf sie den Eindruck einer zutiefst unglücklichen Frau.
*
«Ich weiß, das Haus ist seltsam», sagte Vivienne zu Sofia und Beatrice, als sie am nächsten Tag stumm die ausgestopften Tierköpfe betrachteten, die jede Fläche der gemieteten Villa in Djurgården bedeckten. «Der Mann, dem es gehört, ist ein Freund meines Vaters, und er lässt mich den Sommer über hier wohnen. Auf eine bizarre Art ist es sogar interessant, finden Sie nicht?» Sie betrachtete mit gerunzelter Stirn die Wände. «Ich wusste gar nicht, dass es so viele verschiedene Tiere zu erlegen gibt. Und das ist alles noch gar nichts gegen die seltsamen Bediensteten.» Mit Verschwörermiene beugte sie sich vor und flüsterte: «Am Ende musste ich mir mein Essen außer Haus bestellen. Ich habe alles vom Hotel Rydberg kommen lassen. Wer weiß, was die mir hier sonst gekocht hätten. Und ich schlage vor, Sie halten sich davon fern …» Sie deutete auf ein Tablett. «Die Köchin bestand darauf, diese Dinger hier zuzubereiten, aber niemand weiß, was darin ist.» Vivienne machte eine abwehrende Handbewegung, als ein Diener ihr ein Tablett mit braunen Klößchen hinhielt. «Hol lieber Champagner. Und stell das da weg», befahl sie. Dann senkte
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