Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
Stockholm sein, doch die Adeligen, Höflinge und anderen hochgestellten Gäste, die sich einer nach dem anderen zu ihrer Soiree einfanden, gehörten samt und sonders zur Elite der Stockholmer Gesellschaft. Wenn der Graf nicht das Geschwätz der nächsten Tage abgeben wollte, musste er sich der Französin beugen, das wussten alle drei. Er machte also auf dem Absatz kehrt und ging davon.
Es war Beatrice ein Vergnügen zu sehen, wie Vivienne den Grafen so mühelos zurechtgewiesen hatte, doch trotzdem verspürte sie einen Stich. War es wirklich schon so weit, dass sie Angst vor Rosenschöld und seinem Zorn hatte? Vor nicht allzu langer Zeit hätte sie ihm auch noch ganz anders geantwortet. Sie ließ den Blick zu Sofia und Johan hinüberschweifen, die sich mit Jacques unterhielten. Gerade lachten sie über irgendetwas, und Beatrice musste sich eifersüchtig eingestehen, dass sie bereits eine Geschichte teilten, zu der sie nicht mehr gehörte. Seit der Verlobung mit Rosenschöld war jeder Umgang mit Gleichaltrigen plötzlich ein Luxus, der ihr meistens verwehrt blieb, und der Widerstand regte sich in ihr. Sie wollte auch dort stehen und unbekümmert lachen. Was konnte Rosenschöld schon dagegen unternehmen, wenn sie zu den anderen ging und ihnen Gesellschaft leistete? Würde er sie an den Haaren davonschleifen? Wohl kaum. Ihr mit dem Finger drohen? Und dann? Sie würde dort hingehen, sie würde sich amüsieren und jung sein. Geräuschvoll stellte sie ihr Limonadenglas aus der Hand. Doch dann blieb sie wie angewurzelt stehen.
Seth Hammerstaal hatte den Raum betreten.
Panik überfiel sie. Was machte Seth hier? Niemand hatte ihr gesagt, dass er kommen würde.
Nur zu gut konnte sie sich noch an ihre letzte Begegnung erinnern, als er mit der Schankkellnerin auf dem Schoß so hasserfüllt und verletzend mit ihr gesprochen hatte. Doch die Erinnerung an diesen Abend wurde von anderen Bildern überlagert, von Bildern eines lachenden, neckenden Seth, der sie küsste, dass ihr der Atem wegblieb. Ein charmanter Seth, der sie vor tausend Jahren auf dem königlichen Ball vor Rosenschöld gerettet hatte. Ein Seth, der ihr schöne Augen machte und sie ansah, als wäre ihm wichtig, was sie sagte und dachte. Ein ernsthafter Seth, der sie zur Frau hatte haben wollen.
Gelächter und Stimmen rundherum klangen auf einmal ganz verzerrt, und ihr Blickfeld verschwamm an den Rändern.
«Beatrice?»
Viviennes Stimme kam wie aus weiter Ferne. Beatrice schluckte ihre Panik hinunter und holte tief Luft. Während die Geräusche langsam wiederkehrten, sah sie sich um.
Seltsam, alles war wie vorher. Die Abendsonne fiel durch die dünnen Gardinen, das Personal sammelte Porzellanteller ein und füllte Gläser nach, und Seth sah in seiner dunklen Hose, dem weißen Hemd und der goldbraunen Jacke sehr elegant aus. Gerade fuhr er sich durchs Haar und lachte über etwas, was Jacques zu ihm gesagt hatte.
«Beatrice?», wiederholte Vivienne.
Sie lächelte unsicher. «Keine Sorge, mir ist nur ein bisschen schwindlig geworden. Es geht mir schon wieder besser.» Doch sie wich Viviennes forschendem Blick aus.
Früher hätte Beatrice es vermeiden können, Rosenschöld als Tischherrn zu haben, doch nun waren sie Verlobte und saßen selbstverständlich nebeneinander.
Seths Platz war schräg gegenüber, und obwohl er sie nicht ansah, war Beatrice sicher, dass er sich ihrer Anwesenheit bewusst war. Ihre Blicke waren sich ein einziges Mal begegnet, doch er hatte sie nicht einmal gegrüßt. Er streifte sie nur mit einem leeren Blick und wandte sich wieder seinen Tischnachbarn zu.
Appetitlos stocherte sie auf ihrem Teller herum.
«Gehören Sie zu den Damen, die hungern, um schlank zu sein?», erkundigte sich der Herr links von ihr.
«Man hat mich gewarnt, dass in den Gerichten vielleicht Teile davon verarbeitet worden sind», flüsterte sie und deutete auf die ausgestopften Tierköpfe.
Der Mann sah so erschrocken aus, dass sie in Gelächter ausbrach.
«Nein, entschuldigen Sie, das war nur ein Scherz», sagte sie, zwinkerte und nahm demonstrativ einen Bissen.
«Warum machen Frauen das eigentlich?», erkundigte sich der Mann jetzt interessiert. «Ich meine, dass sie hungern.»
«Wahrscheinlich aus demselben Grund, aus dem wir auch alle anderen Dinge tun: der Männer wegen.»
«Es ist Aufgabe der Frau, eine Zierde für ihren Mann zu sein», verkündete Rosenschöld laut. «Alle wissen, dass zwischen Männern und Frauen ein großer Unterschied besteht, vor
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