Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
allem in unserer Gesellschaftsschicht», fuhr der Graf fort, und der Mann auf der anderen Seite nickte höflich. «Frauen müssen mit ihren Energien haushalten. Sie sind nicht wie wir Männer, sie sind schnell erschöpft durch intellektuelle Arbeit, und das macht sie schwach. Nicht der Nahrungsmangel.»
«Der Graf meint also, eine Frau sollte sich keinem intellektuellen Zeitvertreib hingeben?», fragte der Mann interessiert.
Beatrice war plötzlich unsichtbar geworden.
«Selbstverständlich nicht», erwiderte der Graf. «Der Frauenkörper ist ein empfindlicher Organismus, wie jeder sehen kann. Diese Krankheiten, an denen die Frauen heutzutage leiden, stehen in direktem Zusammenhang mit den Aktivitäten dieser sogenannten modernen Frauenzimmer.»
«Aber glauben Sie nicht, dass viele Frauen, die an Hysterie leiden, in Wirklichkeit einfach nur bodenlos gelangweilt sind?», warf Beatrice ein. Rosenschöld schickte ihr einen Blick, der sie zum Schweigen bringen sollte, doch sie kümmerte sich nicht darum. Sie war doch schließlich nicht seine Sklavin, oder? «Würden Sie nicht auch verrückt werden bei dieser Passivität, zu der so viele Frauen in unserer Gesellschaft gezwungen sind?», fuhr sie fort. Ihr war bewusst, dass sie ihn provozierte.
«Ich bin ein Mann, und wir Männer haben ganz andere Bedürfnisse als Frauen», antwortete er kühl. «Eine anständige Frau will sich außerdem gar nicht hervortun, sie weiß, dass es ihre Aufgabe ist, unsichtbar zu bleiben. Sie muss eine passive Rolle übernehmen, eine Zierde für ihren Mann und ihr Heim sein. Sonst kann sie gar nicht glücklich werden.»
«Aber Sie sind doch gar keine Frau, woher wollen Sie da wissen, was eine Frau glücklich macht?», fragte Beatrice beharrlich.
Rosenschöld lächelte dem anderen Mann vielsagend zu. «Ich weiß auch, was für mein Pferd oder meinen Hund das Beste ist, ohne dass ich ein Pferd oder ein Hund bin, nicht wahr?»
Irgendjemand lachte.
«Zwischen Männern und Frauen besteht nun mal ein großer Unterschied», fuhr der Graf fort. «Eine Frau, die sich um sich selbst und ihre Nachkommenschaft kümmert, braucht nicht mehr, um ein vollständiges Leben zu führen. Wenn die Frauenzimmer anfangen wollen, sich wie Männer zu verhalten, ist unsere Gesellschaftsstruktur in Gefahr.» Er sah die anderen Gäste an.
Beatrice machte sich über ihr Essen her. Wütend schnitt sie ihr Fleisch, als plötzlich eine träge Stimme von der anderen Seite des Tisches ertönte.
«Wie ich sehe, haben Sie ja eine temperamentvolle Verlobte, Rosenschöld», bemerkte Seth ironisch. «Man kann nur hoffen, dass es nicht allzu lange dauert, bis sie lernt, Ihren überlegenen männlichen Intellekt zu schätzen.»
«Eine Frau, die ihrem Gatten nicht gehorcht, ist eine Schande und muss bestraft werden», sagte Rosenschöld kühl und sah Seth an.
«Sie wissen sicher selbst am besten, wie man mit Frauen umgeht», erwiderte Seth mit einem unbekümmerten Schulterzucken. «Aber so wie Sie die Frauen beschreiben, klingt das nach einer ziemlich anstrengenden Aufgabe. Ich hoffe, Sie wissen, worauf Sie sich da einlassen.»
Die Gäste lachten. Beatrice starrte auf ihren Teller und blinzelte gegen die Tränen, die ihr in die Augen steigen wollten.
«In der Medizin spricht man immer öfter davon, dass Frauen, die an der sogenannten Hysterie leiden, mit strengen Methoden behandelt werden müssen», sagte Rosenschöld. «Ich schließe mich dieser Meinung voll und ganz an.»
«Aber Sie können doch wohl nicht diese grässlichen Operationen meinen?», fragte ein anderer Gast.
«Wenn ein Arzt sagen würde, dass das nötig ist, würde ich niemals zögern, seinem Rat zu folgen. Es ist schließlich immer zum Besten der Frau», antwortete der Graf.
«Rechtfertigt man nicht die meisten Übergriffe so?», Beatrice konnte sich nicht mehr zurückhalten. «Es gibt immerhin auch viele Ärzte, die behaupten, dass solche Methoden, also die Behandlung von Hysterie und Nervosität durch die Entfernung der Gebärmutter, weniger mit moderner Medizin zu tun haben als mit Folter.»
Rosenschöld warf ihr einen angewiderten Blick zu. «Ich würde sagen, dass allein Ihre unpassende Rede Beweis genug dafür ist, dass Frauen höchstens die Bibel lesen sollten, mehr aber auch nicht.»
«Lassen Sie sie doch sprechen», rief jemand, doch Rosenschöld schüttelte den Kopf. «Ich schlage vor, wir wechseln das Thema.» Er bedachte Beatrice mit einem harten Blick, und damit war das Gespräch
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