Ein ungezähmtes Mädchen (German Edition)
gemeinsam einreiten würden. Er grinste schief. Das wäre bestimmt unterhaltsam. Manchmal machte ihn die Tristesse seines Daseins einfach verrückt.
«Es hat sich herausgestellt, dass Fräulein Beatrice unsere Absprache brechen wollte», erzählte der Graf. «Dein Vater war gezwungen, ihr den Kopf zurechtzurücken. Unglaublich, was manche Frauen sich einbilden.» Er hielt Edvard die Kneipentür auf. «Aber komm, ich mag jetzt nicht mehr über Frauenzimmer reden.»
[zur Inhaltsübersicht]
21
Blasieholmstorg 1, Stockholm
August 1881
Seths Haus in Stockholm lag am Blasieholmstorg, in der bei der Gesellschaft beliebtesten Gegend der Hauptstadt. Das große, moderne Haus war neu errichtet und an seine Bedürfnisse angepasst worden, sowohl für seine Arbeit wie auch für seine repräsentativen Aufgaben.
Sogar eine der wenigen Telefonleitungen Stockholms führte zu diesem Haus.
Seth vergnügte sich oft damit, irgendwelche neuen Erfindungen, die er aufgestöbert hatte, zu Hause auszuprobieren, und gerade jetzt lief im Badezimmer ein Experiment mit fließend warmem Wasser, das bis jetzt jedoch keine vielversprechenden Ergebnisse erzielt hatte, wenn man seiner gereizten Haushälterin glauben durfte.
Seths Diener, Ruben, hielt ihm die Jacke hin.
«Das ist eine Herbstjacke, die kann ich doch im August nicht anziehen», protestierte Seth.
«Die sieht doch aus wie alle anderen Jacken auch», gab Ruben unbekümmert zurück. Diese Diskussion führten sie jeden Tag.
«Hol stattdessen die graue», sagte Seth.
Ruben seufzte, während er tat, was man ihm aufgetragen hatte.
Seth hatte ihn in Amerika kennengelernt. Trotz seiner Nörgeleien war der Mann ein verlässlicher Diener. Er war in den Straßen von New York aufgewachsen, er beugte sich keiner Gewalt, und Seth, der Ressourcen zu nutzen verstand, hatte ihn gern in seinen Diensten.
«Hör auf zu nörgeln. Du kannst jederzeit gehen, wenn du willst», stellte Seth fest, der wusste, dass er den Mann nicht mal loswerden würde, wenn er es versuchte.
«Ja, das sagen Sie immer.»
«Lass die Köchin in Frieden, während ich weg bin. Und lass den Butler seine Arbeit machen, ich möchte keine Klagen hören, wenn ich zurückkomme.»
«Soll ich den Wagen rufen lassen?», erkundigte sich Ruben mit zweideutiger Miene, die deutlich verriet, dass der Diener in Seths Abwesenheit machen würde, was er wollte.
Seth schüttelte den Kopf. «Ich habe viel Zeit, ich glaube, ich laufe, dann kann ich mir die Füße etwas vertreten.»
«Sie scheinen ja seit langem mal wieder gute Laune zu haben, das freut mich.»
«Freu dich nicht zu früh», entgegnete Seth. «Du wirst sehen, bald bin ich wieder mein altes, griesgrämiges Ich.»
«Jawohl, Herr. Gott steh uns bei, Herr.»
Seth verließ sein Haus und legte ein flottes Tempo vor. Es war schönes Wetter, in der Nacht hatte es geregnet, und die Luft war ungewöhnlich klar und frisch. Ruben hatte recht, er hatte gute Laune. Vielleicht wendete sich das Blatt ja endlich?
Er überquerte die Straße. Überall wurden neue Häuser gebaut, Leitungen verlegt und Straßenpflaster erneuert, und ihm fiel auf, wie schnell Stockholm – ebenso wie New York – den Schritt in die neue Zeit machte. Mit einem Zwinkern grüßte er zwei kichernde Schwesternschülerinnen, machte einer vorbeifahrenden Pferdebahn Platz und dachte über die Verabredung nach, zu der er unterwegs war, als er sie plötzlich erblickte.
Beatrice.
Sie stand vor einem großen Schaufenster, einem Antiquariat, wie er sah. Sie trug einen dunklen Hut, und ihre Kleidung war keusch und düster. Das störte ihn. War Rosenschöld wirklich so geizig seiner zukünftigen Frau gegenüber, dass er ihr nicht mal ein paar hübsche Kleider kaufen konnte? Auf der Soiree war es genauso gewesen, fiel ihm wieder ein: Die anderen Frauen trugen farbenfrohe Stoffe und lachten, während Beatrice in einem Kleid in stumpfer Farbe erschienen war und noch dünner aussah als bei ihrer letzten Begegnung in Värmland.
Als er sie kennengelernt hatte, war sie eine kurvige, lebenslustige Frau gewesen, ganz weiches Fleisch und vergnügte Grübchen. Seitdem war sie abgemagert und richtiggehend dürr geworden – als hätte ihr jemand alle Lebenslust und Energie ausgesaugt.
Sogar von hinten machte sie einen gedämpften Eindruck. Ich sollte doch froh sein, dass sie so unglücklich aussieht, dachte er, dass sie vielleicht auch einen Bruchteil von dem durchleidet, was ich durchlitten habe.
Daher wollte er auch seinen
Weitere Kostenlose Bücher