Ein Universum aus Nichts
Akkorden der Symphonia Galactica gleicht die Musik der Sphären einem Geklimper oder einem Kinderlied. Mit einer anderen Metapher und einer veränderten Dimension wird der Staub der Jahrhunderte, der Nebelschleier dessen, was wir uns anmaßen, »alte« Geschichte zu nennen, rasch von den beständigen, erodierenden Winden der geologischen Zeitalter fortgeblasen. Selbst das Alter des Universums – bis auf die vierte Stelle genau 13,72 Milliarden Jahre, wie Krauss uns versichert – ist fast nichts im Vergleich zu den Billionen von Jahren, die noch kommen werden.
Doch Krauss’ Vision der Kosmologie einer fernen Zukunft ist paradox und beängstigend. Der wissenschaftliche Fortschritt wird sich seiner Ansicht nach wahrscheinlich rückläufig entwickeln. Wir glauben natürlich, dass die Vision der Kosmologen, falls es sie im Jahr 2 Billionen n. Chr. noch gibt, weiter reichen wird als unsere. Das wird nicht der Fall sein – und das ist eine der vielen erschütternden Folgerungen, die ich am Ende dieses Buches in Erinnerung behalte. Ein paar Milliarden Jahre mehr oder weniger – unsere Zeit bietet sehr günstige Bedingungen, ein Kosmologe zu sein. In zwei Billionen Jahren von heute aus gesehen wird das Universum sich so weit ausgedehnt haben, dass alle Galaxien außer der des Kosmologen (welche das auch immer sein mag) sich hinter einen Einstein’schen Horizont zurückgezogen haben, der so absolut, so unantastbar ist, dass sie nicht nur unsichtbar sein werden, sondern vollkommen außerhalb jeder Möglichkeit, eine auch nur indirekte Spur hinterlassen zu können. Ebenso gut hätten sie gar nicht existieren können. Höchstwahrscheinlich wird jede Spur des Urknalls verschwunden sein – auf ewig und jenseits jeder Chance, sie wiederzufinden. Die Kosmologen der Zukunft werden von ihrer Vergangenheit und ihrer Situation auf eine Weise abgeschnitten sein, die für uns nicht gilt.
Wir wissen, wir befinden uns inmitten von 100 Milliarden Galaxien, und wir wissen vom Urknall, weil wir überall von den entsprechenden Beweisen umgeben sind: Die ins Rot verschobene Strahlung ferner Galaxien zeigt uns die Hubble-Expansion, und wir extrapolieren sie in die Vergangenheit. Es ist unser Privileg, diese Beweise sehen zu können, denn wir blicken hinaus in ein Universum im Kindesalter, warm und geborgen in dieser Morgendämmerung, in der das Licht noch von einer Galaxie zur anderen gelangen kann. Krauss und ein Kollege haben dafür eine originelle Formulierung gefunden: »Wir leben in einer ganz besonderen Zeit – in der einzigen Periode, in der wir durch Beobachtung bestätigen können, dass wir in einer ganz besonderen Zeit leben!« Die Kosmologen des Dritten Billenniums werden auf die verkümmerte Vision unseres frühen 20. Jahrhunderts zurückgeworfen sein – wie wir eingeschlossen in einer einzigen Galaxie, der Milchstraße, die nach allem, was wir wussten oder uns vorstellen konnten, gleichbedeutend mit dem Universum war.
Am Ende und unausweichlich wird das flache Universum weiter zu einem Nichts verflachen, das seine Anfänge spiegelt. Dort wird es nicht nur keine Kosmologen geben, die ins Universum hinausschauen. Es wird auch nichts zu sehen geben, selbst wenn da jemand wäre, der es könnte. Absolut nichts. Nicht einmal Atome. Einfach nichts.
Wer meint, das sei trübselig und trostlos, hat Pech gehabt. Die Wirklichkeit schuldet uns keinen Trost. Als Margaret Fuller – in meiner Vorstellung mit einem zufriedenen Seufzer – anmerkte: »Ich akzeptiere das Universum.«, erwiderte Thomas Carlyle trocken: »Ach Gottchen, da wird ihr kaum etwas anderes übrig bleiben!« Persönlich bin ich der Meinung, die ewige Ruhe eines unendlich flachen Nichts zeigt eine Größe, die es wert ist, um es zurückhaltend auszudrücken, dass man sich ihr mutig stellt.
Wenn aber etwas zu nichts verflachen kann – kann dann auch ein Nichts aktiv werden und etwas zur Welt bringen? Oder um einen alten theologischen Scherz anzuführen, warum gibt es statt nichts überhaupt etwas? Hier kommen wir zur vielleicht bemerkenswertesten Lektion, die uns bleibt, nachdem wir Krauss’ Buch zugeklappt haben. Die Physik sagt uns nicht nur, wie aus nichts etwas hervorgegangen sein könnte. Wie Krauss darlegt, geht sie darüber hinaus und zeigt uns, dass das Nichts instabil ist. Etwas war geradezu dazu bestimmt, daraus in die Existenz zu treten. Wenn ich Krauss richtig verstehe, geschieht das ständig: Das Prinzip hört sich an wie eine Art Physiker-Version der
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