Ein unmoralischer Handel
Türknauf zum Salon blieb er stehen. »Eines noch - hat Folwell seinen Bericht gebracht?«
»Aye, Sir - er liegt auf dem Kaminsims.«
»Gut.« Gabriel trat in den Salon, zog die Tür hinter sich zu und ging direkt zur Anrichte hinüber. Er goss sich einen doppelten Cognac ein, nahm mit der anderen Hand Folwells Nachricht vom Kaminsims und ließ sich in seinen Lieblingssessel fallen. Dann nahm er einen tiefen Zug, betrachtete den gefalteten Zettel, stellte das Glas auf ein Beistelltischchen, legte das Papier daneben und presste sich beide Hände auf die Augen.
Du meine Güte, war er müde! Die ganze letzte Woche hatte er - abgesehen von der Zeit, die er mit Alathea verbracht hatte, und ein paar Stunden unruhigen Schlafs - jede Minute damit zugebracht, einer Reihe von Beamten und Adjutanten ausländischer Botschaften irgendwelche offizielle Erklärungen zu entlocken - Erklärungen, die rechtlich Gewicht hatten. Umsonst. Es war nicht so, dass die Herren ihm nicht hätten behilflich sein wollen, sondern lag einfach an der Art, wie Behörden überall auf der Welt arbeiteten. Alles musste mehrfach abgesichert und dann noch von jemandem abgezeichnet werden. Zeit, so schien es ihm, wurde sowohl in Whitehall als auch im Ausland mit anderen Maßstäben gemessen.
Mit einem tiefen Seufzer streckte Gabriel die Beine aus, schloss die Augen und lehnte den Kopf zurück. Es war nicht sein Scheitern an dieser Front, das ihn so bedrückte.
Heute Nachmittag hatte er Struthers einen Besuch abgestattet. Sogar aus dem kurzen Gespräch ging hervor, dass der Kapitän in der Tat der Kenner war, für den Alathea ihn gehalten hatte. Sogar ohne die Beweise, die sie bereits zusammengetragen hatten, würde seine Aussage auch den widerwilligsten Richter zu einer raschen und für sie günstigen Entscheidung veranlassen. Das Problem war der Kapitän, der sich offensichtlich mit fliegenden Fahnen auf einen Feldzug begeben hatte. Auf der Suche nach Kartenmaterial und Schürfrechten hatte er bereits seine Bekannten kontaktiert.
Gabriel war sich ganz und gar nicht sicher, ob der Weg, Crowley eine Schlinge um den Hals zu legen, auch der richtige war. Stahl wäre vielleicht klüger gewesen.
Eine halbe Stunde lang hatte er versucht, Struthers zur Vorsicht zu gemahnen, doch der Mann hatte nicht hören wollen. Er war schier besessen davon, Crowley zur Strecke zu bringen. Schließlich hatte Gabriel sich damit abgefunden und war wieder gegangen. Er hatte versucht, die düsteren Vorahnungen, die wie Fanfaren in seinem Kopf schallten, zu ignorieren.
Solange Struthers nur am Dienstagmorgen vor dem Chancery Court erschien, würde alles gut werden. Bis dahin allerdings hing der Fall - und auch seine Nerven - an einem seidenen Faden. Eine falsche Bewegung …
Er schlug die Augen wieder auf, griff nach seinem Glas und nahm grimmig einen Schluck. Heute Abend konnte er nichts mehr tun, um den Fall Morwellan noch weiter abzusichern. Aber es war sowieso allerhöchste Zeit, sich dem anderen Thema auf seiner Agenda zu widmen.
Er war ein Feigling.
Nicht ganz einfach für einen Cynster, sich das einzugestehen, aber das musste er wohl oder übel.
Sie hatte ihm keine andere Wahl gelassen.
Er hatte Alathea seit ihrem Treffen in der Laube gestern Nachmittag nicht mehr gesehen. Ja, er hatte sie nicht sehen wollen, nicht bevor er nicht entschieden hatte, was er tun, wie er auf ihr Ultimatum reagieren sollte. Sie hatte ihn sich so … primitiv fühlen lassen; seiner eleganten Haltung, dem Lack seines gesellschaftlichen Charmes vollkommen beraubt. In ihrer Gegenwart fühlte er sich wie ein Höhlenmensch, dem plötzlich klar geworden ist, dass er den Himmel auf Erden nicht mit seinem Knüppel herbeiprügeln kann. Er hatte ihr in allen Einzelheiten ihre gemeinsame Zukunft ausgemalt, um sie zu ködern - damit sie zugeben musste, wie schön alles werden würde, um ihr zu zeigen, wie leicht ihrer beider Leben sich miteinander verflechten würde. Stattdessen waren ihm plötzlich die Augen aufgegangen, wie verzweifelt er all das herbeisehnte, was er ihr beschrieben hatte.
Bisher hatte er nicht über Details nachgedacht - er hatte gewusst, dass er sie zur Frau wollte, und das hatte genügt. Doch jetzt, da er diese glanzvollen Bilder heraufbeschworen hatte, ließen sie ihn nicht mehr los.
Und sie führten ihm quälend seine Feigheit vor Augen.
Würde er diese Zukunft aufs Spiel setzen - diese glorreiche Zukunft, die ihnen bestimmt war -, bloß weil er einfach keine Worte fand,
Weitere Kostenlose Bücher