Ein unmoralischer Handel
auch besser so. Sein Blick fixierte die Flammen, er konzentrierte sich auf die Gräfin und plante die nächste Phase bei ihrer gemeinsamen Ermittlung - und den nächsten Schritt zu ihrer Verführung.
3
Z wanzig Minuten nach Mitternacht stand Gabriel vor der Eichentür, die die Büroräume von Thurlow & Brown sicherte, und untersuchte das alte Schloss. Er hatte niemanden gesehen, als er den ruhig daliegenden Innenhof überquerte. Aus einigen wenigen Fenstern war Licht gefallen, wahrscheinlich Angestellte, welche die Nacht durcharbeiteten. Die Räume direkt unter dem Büro waren zwar besetzt, doch hatte ihn niemand auf der Treppe vorüberschlüpfen gehört.
Er tastete in seiner Tasche nach dem Dietrich, den er mitgebracht hatte - einer, der es mit solch schweren Schlössern würde aufnehmen können. Gleichzeitig probierte er, ohne darüber nachzudenken, den Türknauf zu drehen …
Die Tür gab nach.
Gabriel starrte auf die Tür sowie auf das unverriegelte Schloss und versuchte sich vorzustellen, wie der alte Sekretär die Tür hinter sich zugezogen hatte und nach Hause gegangen war, ohne abzuschließen.
Dieses Szenario war nicht überzeugend.
Durch den Türspalt konnte er kein Licht schimmern sehen. Er versetzte der Tür einen leichten Stoß, um sie weiter zu öffnen. Wie vorhin am Nachmittag schwang sie geräuschlos auf. Der Empfangsraum und das Zimmer dahinter lagen in vollkommener Dunkelheit da. Aus dem Raum am Ende des Korridors drang ein schwacher Lichtschein.
Gabriel machte die Tür hinter sich zu. Er lehnte seinen Stock neben den Türstock, wartete, bis sich seine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, und fand die Pforte in dem Holzgeländer wieder, durch welche die Klienten Zutritt zu den umliegenden Räumen erhielten.
Auch diese ließ sich geräuschlos öffnen.
Seine Fußtritte wurden durch einen Läufer gedämpft, als er leise den Flur entlangschlich und überlegte, ob es vielleicht möglich sei, dass Mr Brown ohne »e« noch so spät arbeitete. Das gelegentliche Aufflackern des Lichts stammte wahrscheinlich von einer stark heruntergedrehten Lampe; außerdem war die Lampe wohl zum Teil abgeschirmt, denn das Licht fiel nur ins Innere des Raumes, vermutlich auf Browns Schreibtisch, und nicht durchs Fenster nach draußen. Auf der Schwelle innehaltend, lauschte Gabriel - und hörte das gleichmäßige Rascheln von umgeblätterten Seiten. Dann folgte ein leises Klappen, ein Buch wurde zugeschlagen, dann raschelten wieder Papiere. Daraufhin war ein anderer Ton zu vernehmen - vielleicht wurden die Papiere samt Buch ja zurück in einen der Blechkästen gelegt, den dann jemand verschloss.
Ein anderer Kasten wurde geöffnet. Wenig später wieder das Blättern - gleichmäßig, zielgerichtet.
Das hörte sich nicht nach Mr Brown an.
Gespannt vor Neugier trat Gabriel über die Schwelle in den düsteren Spalt der halb offenen Tür und spähte um die Ecke.
Eine hoch gewachsene Gestalt in Mantel und Haube stand an dem großen Tisch und durchwühlte die Papiere, die sie aus einem der Kästen herausgenommen hatte, die sich auf dem Tisch stapelten. Ihre behandschuhte Hand verriet sie ebenso wie die Linie ihres Kinns, das einen flüchtigen Augenblick erhellt wurde, als sie den Kopf neigte, um ein Dokument ins Licht zu halten. Die Lampe stand zu ihrer Linken, ein dickes Buch war wie ein Schirm dahinter aufgestellt.
Gabriel merkte, wie die unbewusste Spannung in seinen Muskeln nachließ; er lehnte sich an das Regal und schaute zu.
Er wartete, bis sie den Inhalt der gerade geöffneten Box systematisch durchsucht und die Papiere wieder hineingelegt hatte. Dann griff er nach hinten und schubste die Tür zu.
Sie quietschte.
Die Dame stöhnte auf. Papiere flogen hoch. Mit einer heftigen Handbewegung schlug sie hastig ihren Schleier herunter und fuhr so schnell herum, dass er, obwohl er genau hinsah, nicht einmal einen flüchtigen Blick auf ihr Gesicht erhaschen konnte. Eine Hand auf der Brust, die andere an die Tischkante hinter ihrem Rücken geklammert, starrte ihn die Gräfin an, ebenso inkognito wie sie es gestern am Hanover Square gewesen war.
»Ach!« Ihre Stimme schwankte, als sei sie sich nicht ganz der Tonlage sicher, dann rang sie mit sichtbarer Mühe um Atem und sagte in demselben tiefen Ton, den er in Erinnerung hatte: »Sie sind es.«
Er verbeugte sich. »Wie Sie sehen.«
Sie starrte ihn immer noch an. »Sie … Sie haben mich ganz schön erschreckt.«
»Ich würde mich ja entschuldigen, aber«, er
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