Ein unmoralisches Angebot
Verwandtschaft mit Lord Renshaws Familie bestand. Dann fiel ihr auf, dass sie Miss Meredith anstarrte und ihre Nichte, die sich tief in den Ohrensessel duckte, sie noch misstrauischer als zuvor ansah.
„Entschuldigen Sie, Miss Meredith“, sagte sie hastig. „Es ist nur, dass … Sie erinnern mich …“ Sie hielt inne, weil sie plötzlich daran gedacht hatte, dass Miss Meredith vielleicht keine Ahnung von ihrer Abstammung hatte.
„Es tut mir leid, dass ich Sie erschreckt habe, Madam“, sagte Olivia rasch. „Ich konnte an keinen anderen Weg denken, wie ich Sie unter vier Augen hätte sehen können. Das war Toms Einfall. Sie wissen, Tom Brookes. Er und seine Familie verstecken mich nämlich.“
„Ich verstehe“, erwiderte Sarah langsam, näherte sich Miss Meredith und zog ihren Mantel aus. „Dann war das Treffen beim Zierturm …“
„Oh, das war alles nur eine List! Tom wusste, Lord Allardyce werde, wenn er Andeutungen darüber fallen ließ, dass ich beim Zierturm sein würde, sofort das Haus verlassen. Dann war die Luft rein für mich, sodass ich herkommen konnte!“
„Ich verstehe“, wiederholte Sarah grimmig. „Ich muss daran denken, Tom zu seiner Strategie zu gratulieren! Es muss ihm eine ziemliche Genugtuung gewesen sein, dass wir alle im Schnee herumgestapft sind!“
Olivia lachte auf und schlug einen Moment später hastig die Hand vor den Mund. „Oje! Wie schrecklich! Es tut mir so leid, Miss Sheridan. Aber wissen Sie, wir mussten Lord Allardyce um jeden Preis überlisten!“
Das Kaminfeuer war heruntergebrannt. Olivia fröstelte ein wenig, aber es war unklar, ob das durch die Kälte oder als Reaktion auf die Erwähnung von Lord Allardyce geschah. Sarah schürte das Feuer, setzte sich dann auf die Hacken und betrachtete die Nichte.
„Ist Lord Allardyce der Grund, warum Sie an Mr. Churchward geschrieben haben? Sie müssen mir erzählen, wie ich Ihnen helfen kann, Miss Meredith.“
„Ich möchte Sie nicht lange vom Schlaf abhalten, würde jedoch gern meine Schwierigkeiten erklären.“
„Natürlich“, erwiderte Sarah. Sie setzte sich ihrer Nichte gegenüber hin. Olivia hatte den Kopf gesenkt, und ihre Wangen waren leicht gerötet. Nervös spielte sie mit einer Rockfalte.
„Tom hat mir erzählt, dass Sie hergekommen sind, um mir zu helfen“, platzte sie heraus. „Als ich an Mr. Churchward schrieb, habe ich kaum damit gerechnet, dass er Sie bitten würde herzukommen …“ Sie hielt inne und wirkte verwirrt.
Dann sprach sie weiter, und ihr blasses Gesicht war jetzt noch roter geworden: „Ich denke, Sie sollten wissen, Miss Sheridan, dass meine Mutter … meine Adoptivmutter mir vor einigen Jahren von meiner Verbindung mit Ihrer Familie erzählt hat. Glauben Sie mir, ich habe nicht den Wunsch, mich Ihnen aufzudrängen, weiß jedoch nicht, an wen ich mich sonst wenden sollte!“
„Es kann nicht die Rede davon sein, dass du dich mir aufdrängst oder mir unwillkommen bist, Olivia! Du weißt also, dass ich deine Tante bin, und ich bin sehr glücklich, dich gefunden zu haben!“
Olivia lächelte etwas zittrig. „Vielen Dank, Tante Sarah. Ich muss zugeben, dass es seltsam ist festzustellen, dass ich noch eine Familie habe. Ich bedauere, dass ich deinen Bruder, meinen … Vater, nicht gekannt habe.“
„Er war ein höchst interessanter und charmanter Mensch, und ich bin sicher, er hätte dich gemocht, Olivia. Wir haben noch viel zu bereden, doch ich meine, das Dringendste ist jetzt, dass du mir sagst, wie ich dir helfen kann, Olivia. Dein Brief an Mr. Churchward ließ vermuten, dass du entweder in großer Gefahr oder in schrecklichen Schwierigkeiten bist. Da ich Lord Allardyce schon kennengelernt habe, kann ich mir vorstellen, dass er …“
Das Lächeln schwand aus Olivias Gesicht, sodass es wieder spitz und wie erstarrt wirkte. Sarah beugte sich vor und legte der Nichte die Hand auf den Arm. „Komm! So schlimm kann es doch nicht sein!“
„Es tut mir leid“, platzte Olivia heraus. „Es ist eine so alberne Sache, aber ich wusste nicht, an wen ich mich wenden soll. Oh, ich erkläre nicht sehr gut …“
„Fang am Anfang an“, riet Sarah ihr und lehnte sich zurück. „Ich glaube, bis vor Kurzem warst du in Oxford in einem Pensionat, nicht wahr?“
„Oh ja! Ich bin erst vor wenigen Monaten nach Blanchland zurückgekommen. Mama hat sich Sorgen gemacht, was ich hier tun soll, denn ich weiß, dass sie mich anständig verheiraten will, und hier gibt es so wenig passende
Weitere Kostenlose Bücher