Ein unsittliches Angebot (German Edition)
er wusste, welch trauriges Schicksal sich zwischen ihren Wänden abspielte. In diesem Alter hatten seine Schwestern sich längst anspruchsvolleren Tätigkeiten zugewandt. Irgendwo hatte er ein Kästchen, das Mary für ihn gebastelt hatte. Es war an allen Seiten mit hübschen Papierröllchen beklebt. Anderen Dingen hatten sie sich auch zugewandt: Kleidern, den Bällen, auf denen sie sie tragen würden, und den heiratsfähigen jungen Männern, die sie dort kennenlernen würden. Auf einen Ball würde vermutlich keins der Kinder in diesem Haus je gehen, doch die schwachsinnige Tochter würde womöglich für immer hierbleiben und zusehen, wie ihre jüngeren Schwestern ihr plötzlich überlegen waren, in Stellung gingen und sich eine eigene Zukunft aufbauten.
Wenn sie das Kindesalter überlebten. Diese Einschränkung drängte sich auf, als die Kleine mit dem Kittel erneut einen Hustenanfall bekam. Was war er doch für ein arroganter Narr gewesen, über sie zu richten. Die Hälfte dieser Kinder würde ihren sechzehnten Geburtstag vermutlich nie erleben.
Als sie das Haus verließen, hatte Theo sich in eine geradezu lächerlich miserable Stimmung hineingesteigert. Beinahe stolperte er über das Schwein, das sich ihm genau in den Weg gestellt hatte. »Was zahlen wir Mr Weaver?«, fragte er, als sie durchs Tor traten.
»Acht Schilling die Woche, wie allen anderen Tagelöhnern auch.« Granville musste den Riegel zweimal zudrücken, bevor er einrastete.
Acht Schilling klang nach einem erbärmlichen Verdienst, aber Theo war sich nicht ganz sicher, da er den Preis für einen Laib Brot nicht kannte. Überhaupt hatte er von derlei praktischen Dingen keine Ahnung. »Ist das alles, was sie zum Leben haben?«
»Mrs Weaver und die älteren Kinder helfen bei der Ernte, da bekommen sie noch etwas, und die kleineren verdienen sich vielleicht ein paar Pence dazu, indem sie für die Nachbarn Steine vom Feld sammeln oder die Vögel verscheuchen. Nicht der Rede wert. Sie erhalten allerdings noch eine Zuwendung aus der Armengabe.«
Es war also tatsächlich ein erbärmlicher Verdienst. »Weshalb zahlen wir ihnen nicht einfach mehr, anstatt uns darauf zu verlassen, dass die Gemeinde sie durchfüttert?«
»Das ist nicht so einfach.« Im Freien wirkte Granville älter. Er musste ungefähr vierzig Jahre alt sein, doch im Sonnenlicht sah er ausgezehrt aus. Vielleicht lag das auch am Thema. »Ein Viertelzentner Weizen bringt dieses Jahr nur sechsundsechzig Schilling ein, das ist erheblich weniger als noch vor ein paar Jahren. Nicht abzusehen, wie sich der Preis entwickeln wird.«
»Das hier ist also kein einträgliches Stück Land?« Die Vorstellung, Besitz zu behalten, der kein gutes Einkommen abwarf, war ihm völlig neu.
»Es ist nicht groß genug, um lukrativ zu sein. Jetzt erst recht nicht mehr. Nicht in der Größenordnung von Ihrem Gut in Lincolnshire.«
»Verstehe.« Theo verfiel in Schweigen. Nicht groß genug, um lukrativ zu sein. Ob man das Problem durch Einhegung angrenzender Flächen lösen konnte? Vielleicht würde er das mal zur Sprache bringen. Später, wenn er sich ein wenig über das Thema informiert und einen Blick auf Granvilles Karte geworfen hatte. Mehr Bibliotheksarbeit. Großartig. Er würde ein verweichlichter Bücherwurm geworden sein, wenn man ihn wieder für verantwortungsbewusst genug erklärte, um nach London zurückzukehren.
Er lernte andere Familien kennen: die Knights, die Tinkers, die Rowlandsons und die Quigleys, alle von bescheidenerer Größer als der Weaver-Klan und mit besser erzogenen Schweinen. An der letzten Kate gingen sie vorbei, da sie einem Junggesellen gehörte, der mit den Männern auf dem Feld war.
Konnte es etwas geben, das weniger geeignet war, das Interesse eines Mannes zu wecken, als Weizen und dessen Anbau? Vielleicht wäre es ihm anders gegangen, hätte er das Feld vor der Ernte gesehen, ein wogendes, goldenes Meer mitten im grünen Sussex, doch als er an diesem Tag mit dem Gutsverwalter über eine Hügelkuppe kam und das Stoppelfeld erblickte, auf dem das Getreide bereits zu Garben gebündelt war, bereit für was auch immer als Nächstes mit Weizen geschah, fragte er sich deprimiert, weshalb solch eine Menge davon noch immer nicht ausreichte, um ein gutes Einkommen einzubringen.
Granville stellte ihn den Männern vor, den Ehemännern und fast erwachsenen Söhnen der Familien, die er besucht hatte. Alle waren sie kräftige, wettergegerbte Kerle, bis auf einen alten, langsamen Mann, der,
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