Ein unverbindliches Ja
Inke somit nicht nur das schlechteste Zeugnis der Klasse, sondern auch die meisten Tadel unter ihren Mitschülerinnen bekommen hat. Eine Aussprache halte ich nach Wiederbeginn der Schule für dringend erforderlich.
Bestätigung Ihrer Kenntnisnahme erbeten.
Hochachtungsvoll N. Pappe.«
Dem gab es nichts hinzuzufügen – Mir fiel ein Stein vom Herzen.
Bewaffnet mit dem Brief in der Hand stapfte ich davon.
Als Mama zurückkam …
Jetzt holt mich mein Handy abrupt aus meinen Gedanken, Klingelton Harry, um ein Haar hätte ich unsere Verabredung verschwitzt. Ich bin echt nicht mehr zurechnungsfähig.
Fix flunkere ich »Bin schon unterwegs« in den Hörer und eile davon.
Suse hat es übrigens mal wieder geschafft, denn die Erinnerungen an unsere gemeinsamen Erlebnisse in der Schule haben mich etwas aufgemuntert. Sie stellen meine Kindheit in ein etwas besseres Licht und ich kann mit gutem Gefühl jetzt sagen: Meine Kindheit war nicht nur schlecht.
KAPITEL 6:
HARRY, ÜBERRASCHEND ANDERS
So sehr sich Suse um mich kümmert, so sehr entfernt sich Harry. Wir haben uns nicht mehr viel zu sagen, geben uns nur noch die Klinke in die Hand. U-Bahn-Feeling. Totale Entfremdung, ich fühle mich an seiner Seite einsamer, als ich es jemals war, Single-Zeiten inbegriffen.
Harry wirft mir vor nicht mehr dieselbe zu sein. Recht hat er. Ich bin in den letzten Wochen und Monaten zu einer Fremden geworden.
Aufgeregt sitzt er mir gegenüber an dem kleinen, runden Tisch unseres Stammcafés, fuchtelt unsicher mit seinen Händen in der Luft herum und sucht nach Worten, um mir zu erklären, dass er unsere Beziehung beenden möchte. Bei jeder seiner hektischen Bewegungen wackelt der Tisch. Ich schiebe einen Bierdeckel unter ein Tischbein. »Hörst du mir überhaupt zu? Hast du verstanden, was ich dir gerade gesagt habe?«
Blöde Frage! Ich habe schon lange verstanden. Länger als ihm ist mir völlig klar, dass unsere Beziehung tot ist.
»Ja, du möchtest nicht mehr mit mir zusammen sein. Du hast dich klar und deutlich ausgedrückt. Was sollte ich daran nicht verstehen?«
Eigenartigerweise trifft es mich nicht. Seine Worte gehen an mir vorbei. Es ist mir egal, ich spüre nichts als Gleichgültigkeit. Im Hintergrund spielt Der Himmel kann warten . Mama, du fehlst mir so. Ich mag diesen Song sehr und ertappe mich dabei, dass ich Harry nicht mehr zuhöre. Mir kommt der gemeine Gedanke, dass er mit seinem endlosen Gerede nur meine kostbare Zeit verschwendet. Wo liegt der Sinn, jetzt noch stundenlang über ein Warum zu diskutieren?
Es wundert ihn, wie gefasst ich auf die Mitteilung reagiere, dass er eine Andere hat. »Und ich dachte, du würdest um mich kämpfen.«
Er kennt mich so wenig. Ich werde doch niemanden zu seinem Glück zwingen. So weit kommt es noch.
»Harry, warum sollte ich das tun? Du kennst doch meine Einstellung. Wenn du glaubst, mit einer anderen Frau glücklicher zu werden, bitte. Ich stehe dir nicht im Wege.«
Meine Gelassenheit macht ihn sprachlos. So paradox es auch klingen mag, die Trennung geht ihm wesentlich näher als mir. Die letzte Zeit war einfach zu anstrengend. Ich bin müde, mir fehlt die Kraft.
»Mareike, du bist und bleibst mir ein Rätsel. Ich hätte wetten können, dass du mir eine Szene machst. Aber stattdessen sitzt du mir ganz ruhig gegenüber und wünschst mir viel Glück.«
Als er endlich mit seinem Psalm fertig ist, verlangt er die Rechnung.
Kaum hat er bezahlt, macht er sich schnurstracks auf den Weg zu seiner neuen Flamme.
Ich schwinge mich auf mein Rad, schnalle meine Handtasche mit meinen Notutensilien wie Lippenstift und Deo auf den Gepäckträger und fahre ebenfalls los, wohin, weiß ich selber nicht so genau. In die WG? Nein. Suse ist bestimmt nicht da, sie hat vorhin erwähnt, dass sie heute wahrscheinlich bei ihrem Verlobten übernachtet. Und allein sein möchte ich im Moment nicht. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich zur Geburtstagsparty meiner Arbeitskollegin düse. Etwas Ablenkung, wodurch auch immer. Ein kurzer Abstecher, warum denn nicht.
Wie erwartet stammen die meisten Gäste aus dem Umfeld des Krankenhauses, an dem ich als Psychologin arbeite. Viele von ihnen habe ich noch nie gesehen, zwei Affären mit Ärzten haben mich davon Abstand nehmen lassen, mich weitere Male auf diese Spezies einzulassen. (Das spielte sich letztes Jahr ab, als Harry und ich wieder einmal getrennt waren.) Doch nichts bleibt im Krankenhaus unentdeckt, jeder weiß über jeden Bescheid,
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