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Ein unverschaemt charmanter Getleman

Titel: Ein unverschaemt charmanter Getleman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Loretta Chase
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bedeckte, doch ebenso wenig die seine, wie auch die Prosa nicht seinem Stil entsprach. Alistair zweifelte nicht daran, dass sowohl Form als auch Inhalt einzig Miss Oldridge zuzuschreiben waren.
    Urteilte man allein nach der Schreibkunst, so würde man ihr Wesen wohl für überschwänglich und schwärmerisch befinden und ihren Verstand als ebenso federleicht und undiszipliniert einschätzen wie die wirren Locken ihres Haars.
    Doch der von dem Schreiben geweckte Anschein war trügerisch. Miss Oldridges Wesen war auf schockierende Weise ehrlich und geradlinig, nüchtern und praktisch ... und voller Leidenschaft. Der Verstand, der sich unter der feurigen Wolke wilder, seidig weicher Locken verbarg, war ebenso sanft und unscharf wie ein geschliffener Degen.
    Dr. Woodfreys „Erschöpfung der Nerven“ übersetzte sie als „Nervenzusammenbruch“. Aus der leichten Gehirnerschütterung wurde ein Hirnschaden. Alistairs umschattete, tief in den Höhlen versunkene Augen waren ihr Anzeichen seines baldigen Verfalls. Seine Schlaflosigkeit verglich sie mit dem Schlafwandeln der Lady Macbeth und der Ruhelosigkeit Hamlets - womit sie, kurzum, durchblicken ließ, dass er stetig und unabwendbar dem Wahnsinn anheimfalle. Indem sie so eine verletzende Beleidigung an die andere reihte, machte sie sogar von Alistairs Andeutung Gebrauch, dass er Dr. Woodfrey für einen unfähigen, provinziellen Quacksalber halte. Sie hielt es daher für geraten, dass Mr. Carsington in London von „Vertretern der medizinischen Zunft, denen Krankheiten des Geistes geläufiger seien“ untersucht werde.
    Bescheiden schloss sie, dass sie selbst indes keine Expertin für derlei Fälle sei. Vielleicht täusche sie sich ja. Sie hoffe sogar sehr, sich zu täuschen - um Lord Gordmors willen. Natürlich wisse er am besten, was zu tun sei, aber sie hätte Bedenken, geschäftliche Angelegenheiten in den Händen eines Mannes zu belassen, dessen Verstand derart durcheinander sei.
    Lange nachdem Alistair den Brief gelesen hatte, ihn zweimal gelesen hatte - zunächst in aufgebrachter Ungläubigkeit, dann mit widerwilliger Bewunderung -, blickte er noch immer auf die dichte Folge verschlungener Schnörkel, mit denen sie die Seiten bedeckt hatte. Wäre er allein gewesen, würde er mit den Fingern die kunstvolle Schrift entlanggefahren sein ...
    Er verfügte zwar noch über genügend Selbstbeherrschung, das nicht zu tun, vergaß darüber allerdings, Gordy den Brief zurückzugeben. Stattdessen faltete Alistair ihn zusammen und steckte ihn in seine Weste - gleich neben sein Herz.
    Als ihm bewusst wurde, was er getan hatte, war es schon zu spät. Er musste feststellen, dass Gordy ihn fragend über seinen Bierkrug hinweg betrachtete.
    „Zweifelsohne übertreibt Oldridge - oder aber seine Tochter - den Fall“, bemerkte Seine Lordschaft. „Dennoch ist es unerlässlich, dass du dich von einem kompetenten Londoner Arzt untersuchen lässt. Der Sturz in den kalten Gebirgsbach kann dir kaum gut bekommen sein, und - ohne allzu spitzfindig sein zu wollen - wir wissen ja beide, dass dein Oberstübchen nach Waterloo nicht in bester Ordnung war.“
    „Damals hatte ich Fieber“, erwiderte Alistair knapp. „Ich befand mich im Delirium. Beide Zustände treten oft zusammen auf.“
    „Aber nachdem das Fieber abgeklungen war, konntest du dich nicht mehr an die Schlacht erinnern“, gab sein Freund zu bedenken. „Du wusstest nicht einmal mehr, wie und wann du am Bein verletzt worden bist. Du hast dich nicht daran erinnert, überhaupt gekämpft zu haben. Du würdest mir nicht ein Wort geglaubt haben, wenn ich nicht all die anderen Kameraden an dein Bett gebracht hätte, damit sie dir erzählten, was du getan hattest und was geschehen war.“
    „Du wusstest es also“, meinte Alistair.
    „Natürlich wusste ich es“, sagte Gordy. „Ich kenne dich seit Kindertagen. Ich weiß, wenn etwas nicht in Ordnung ist.“
    „Ich litt unter Gedächtnisverlust“, teilte Alistair ihm mit. Gordy sah ihn skeptisch an.
    „Ja, Gedächtnisverlust“, wiederholte Alistair. Beinahe hätte er noch du Dummkopf hinzugefügt, aber dann fiel ihm ein, dass es ja Miss Oldridge gewesen war, die seinem Leiden überhaupt erst einen Namen gegeben hatte, sodass er selbst wohl ein ebenso großer Dummkopf war wie Gordy - und all die anderen, die etwas bemerkt, aber nie ein Wort darüber verloren hatten -, weil er das Offensichtliche nicht hatte sehen und verstehen wollen.
    „Gedächtnisverlust“, wiederholte nun

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