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Ein unverschaemt charmanter Getleman

Titel: Ein unverschaemt charmanter Getleman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Loretta Chase
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„Wir müssen gleich morgen früh nach London aufbrechen.“ Ohne auch nur einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel zu werfen, eilte er hinaus.
    Auch während des Abendessens war Mr. Oldridge weiterhin guter Dinge. Er tat seine kürzlich überstandene Bedrängnis leichthin ab und bezeichnete sie als ein Abenteuer. Er zeigte sich ganz verzückt, als Mirabel ihm schilderte, wie Alistair die hastig in den Tisch geritzte Nachricht nicht nur entdeckt, sondern auch entziffert hatte.
    Nach dem Essen, als sie sich in die Bibliothek zurückgezogen hatten, wurde er indes ernster. Sobald der Tee serviert worden war und die Bediensteten den Raum verlassen hatten, meinte er zu Alistair: „Sie sollten über Ihren Freund nicht gar so streng urteilen. Er stand unter sehr großem Druck - und dass Mirabel ihm geschrieben hat, Sie seien nicht ganz richtig im Oberstübchen, dürfte der Sache kaum zuträglich gewesen sein.
    Alistair war noch immer viel zu verblüfft über die plötzliche Geistesgegenwart des alten Mannes, um darauf etwas erwidern zu können.
    Mirabel hingegen wollte etwas sagen, doch ihr Vater bedeutete ihr zu schweigen. „Einen Moment noch bitte. Ich unterschrieb diese Briefe an Lord Gordmor und an die Hargates dennoch, da ich wegen Mr. Carsington sehr besorgt war - wie übrigens auch Captain Hughes, der mich just an jenem Tag aufgesucht hatte, weil er meine Theorien hinsichtlich Mr. Carsingtons Leiden versuchen wollte zu verstehen.“
    „Aber das ist nicht sonderlich schwer zu verstehen“, wandte Alistair ein. „Ich leide an Gedächtnisverlust.“
    „Er hat von Waterloo geträumt, Papa“, fügte Mirabel hinzu. „Es stellte sich heraus, dass Mr. Carsington tatsächlich unter Gedächtnisverlust litt. Sobald die Erinnerungen begannen zurückzukehren, setzten auch seine Albträume ein.“
    „Ein gewissenhafter Captain wünscht sich ein gutes Schiff und eine zufriedene Mannschaft“, fuhr Mr. Oldridge fort - ganz so, als habe er seine Tochter nicht gehört. „Wenn die Männer Zusammenhalten, arbeiten und kämpfen sie besser. Ein guter Captain nimmt jederzeit die allgemeine als auch die besondere Verfasstheit seines Schiffes und seiner Mannschaft wahr.“
    Mirabel blickte zu Alistair hinüber, dessen Miene ebenso ratlos war wie die ihre.
    „Ihr müsst nämlich wissen, dass sie dort auf so engem Raum miteinander leben, so viele Männer dicht zusammengedrängt, abgeschieden von der Außenwelt, und das für Tage, Wochen, Monate“, setzte Mr. Oldridge seine geheimnisvollen Ausführungen fort. „Es müsste einem deshalb äußerst schwerfallen, es nicht zu bemerken, wenn beispielsweise ein Offizier niedergeschlagen wäre oder sich gänzlich in sich selbst zurückzöge oder in der Schlacht auf einmal tollkühn würde oder eine andere grundlegende Änderung seines Verhaltens zeigte. Und daher nahm ich an, dass Captain Hughes mit solchen Leiden an Geist und Seele vertraut sei und wisse, wie sie am besten zu handhaben sind. Sicher ist er derlei häufiger begegnet, als es bei einem gewöhnlichen Landarzt der Fall ist. Aber leider ist es mir nicht gelungen, mich dem Captain verständlich zu machen.“
    Niedergeschlagen. Zurückgezogen.
    Zutiefst bewegt stellte Alistair seine Teetasse ab, erhob sich aus seinem Sessel und lief durch die Bibliothek, bis hinüber zu den hohen Fenstern. Er schaute hinaus und musste an jenen Tag denken, da er das erste Mal hierhergekommen war. Er hatte damals aus dem Salon in den Garten hinausgeblickt, ungerührt von der Natur, die sich vor ihm auftat, seine ganze Aufmerksamkeit einzig auf Mirabel gerichtet, die ihm der einzige Lichtblick in der trostlosen Landschaft war.
    Doch seitdem hatte sich seine Wahrnehmung geändert. Die Welt jenseits des Fensters war schön und verlockend, abwechslungsreich und voller Möglichkeiten. Und sie hieß ihn willkommen. Es war fast, als wäre er ... zu Hause.
    Er drehte sich um und fand zwei blaue Augenpaare auf sich gerichtet.
    „Ich hatte Dandys bislang immer für oberflächliche, frivole Geschöpfe gehalten, nicht sonderlich intelligent zudem“, meinte Mr. Oldridge nun. „Als Mirabel mir offenbarte, dass Sie dieser Spezies angehörten, war ich zutiefst verwirrt. Mein botanischer Instinkt ließ mich aber sehr richtig vermuten, dass Ihre Aufmachung wohl lediglich ein Schutzpanzer war.“ Er schaute Mirabel vielsagend an. „Kaktusstacheln.“
    Ein Schutzpanzer, dachte Alistair. Doch was hatte er zu schützen versucht? Und wovor versteckte er sich?

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