Ein unverschaemt charmanter Getleman
dass sein verkrüppeltes Bein dir irgendeinen Vorteil über ihn verschaffen wird.“
Lord Gordmor warf ihr einen, gelinde gesagt, verwirrten Blick zu. „Seit wann bist du eine solche Expertin in Fragen der Ehre, Henrietta? Aber warum spreche ich überhaupt mit dir darüber? Meine Freundschaft zu Carsington ist nicht deine Angelegenheit und ist es auch nie gewesen. Immer sagst du Unheil voraus, entdeckst stets dunkle Wolken, aber nie einen Silberstreif am Horizont. Du lässt Kassandra wahrlich als vergnügte Optimistin erscheinen.“
„Siehst du wohl!“, rief seine Schwester triumphierend. „Auf sie hat auch niemand gehört, habe ich recht? Das war der Fluch, der auf ihrer Gabe lag. Und es ist auch mein Fluch. Du machst dich über mich lustig. Du weigerst dich, dir die Wahrheit anzuhören.“
„Weil es eine bis zur Unkenntlichkeit entstellte Wahrheit ist“, erwiderte er. „Ich habe deinen hysterischen Anwandlungen bereits einmal zu oft gestattet, den beschaulichen Gang meines Lebens aus dem Schritt zu bringen. Das letzte Mal war ein Fehler, den ich bis ans Ende meiner Tage bereuen werde. Doch sollten sich deine prophetischen Fähigkeiten wenigstens diesmal als zutreffend erweisen, so sind die mir verbliebenen Tage ja glücklicherweise nicht mehr allzu zahlreich.“
Daraufhin fiel Lady Wallantree umgehend einer Ohnmacht anheim.
Lord Gordmor rief ein Dienstmädchen herbei, das sich um sie kümmern solle, verlangte daraufhin nach seinem Hut und seinem Stock, verließ eilends das Haus und begab sich auf die Suche nach dem Mann, der zwanzig Jahre lang sein bester Freund gewesen war.
Am selben Tag - es war der Montag nach Ostern - ging Alistair ungeduldig in dem mit kostbaren Teppichen ausgelegten Laden von Londons gefragtester und teuerster Modistin auf und ab.
Endlich trat seine zukünftige Braut aus dem Ankleideraum und stellte sich erwartungsvoll vor ihn. Alistair schloss die Augen.
„Lavendelblau“, rang er sich mit Märtyrermiene ab. „Es muss eine Begabung sein, eine wahre Begabung. Ein ganz seltenes Talent, das dich befähigt, aus einer Kollektion von Kleidern, die allesamt so hinreißend elegant sind, dass sie jede Pariserin vor Neid erblassen ließen, genau jenes auszuwählen, welches deinen Teint aschfahl erscheinen lässt.“
„Alistair", ließ sich Lady Hargate vorwurfsvoll vernehmen.
Er öffnete seine Augen wieder und blickte resigniert zu seiner Mutter hinüber, die neben Lady Sherfield saß, einer noch überaus gut aussehenden Dame mittleren Alters, die große Ähnlichkeit mit ihrer Nichte hatte. Gemeinsam blätterten sie in Modekatalogen.
Oh, wie sehr er sich doch nach Mrs. Entwhistles leichtfertiger Erfüllung ihrer Anstandspflichten zurücksehnte! Seine Mutter und Lady Sherfield hingegen waren immer zugegen. Seit er und Mirabel letzten Donnerstag in London eingetroffen waren, war ihm kein einziger Augenblick mit ihr allein vergönnt gewesen.
„Wenn du dich langweilst“, fuhr seine Mutter fort, „so möchte ich dich bitten, deine schlechte Laune anderswo zu verbreiten. Sonst könnte Miss Oldridge es sich womöglich noch einmal genau überlegen, ob sie tatsächlich einen so taktlosen, spöttischen Flegel wie dich heiraten will.“
„Darf ich denn gar nie Lavendelblau tragen?“, fragte Mirabel betrübt.
„Nein“, beschied er. „Du solltest dich an warme, satte Farben halten. Dies hier ist eine kalte, blasse Farbe. Sie steht dir nicht und lässt dich aussehen, als würdest du Halbtrauer tragen, wo du doch eine vor Glück strahlende Braut sein solltest.“ „Ich mag kalte, blasse Farben“, erwiderte sie. „Sie besänftigen mich.“
„Vertrau es fortan besser mir an, dich zu besänftigen“, meinte er. „Deinen Kleidern solltest du es überlassen, dir gut zu Gesicht zu stehen.“
„Heute Morgen warst du keineswegs besänftigende Gesellschaft“, bemerkte sie.
Er warf einen bedeutungsvollen Blick in Richtung seiner Mutter und Mirabels Tante, die beide wieder tief versunken waren in Modestiche, und tat so, als wolle er sich vor Verzweiflung die Haare raufen.
„Ja, Einkaufen kann sehr, sehr langwierig und langweilig sein“, meinte Mirabel mitfühlend. „Aber schließlich warst du es, der darauf bestanden hat, dass ich meine Garderobe von Grund auf erneuere.“
„Und du hast zudem darauf bestanden, an dieser ermüdenden Prozedur teilzuhaben, Alistair“, erinnerte seine Mutter ihn, ohne von ihrem Katalog aufzusehen.
„Ich habe aber nicht darauf bestanden, dass sie
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