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Ein unverschaemt charmanter Getleman

Titel: Ein unverschaemt charmanter Getleman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Loretta Chase
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zugleich verlieren. Vielleicht trug sie ja sogar schon sein Kind unter ihrem Herzen ...
    Der Gedanke an das Kind - sein Kind - beruhigte ihn und gab ihm Kraft und ließ ihn wohlbehalten bis zu dem Schutthaufen gelangen, wo die beiden Männer feststeckten. Er hörte jemanden atmen. Als seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte er den Umriss von Mr. Oldridges liebenswürdigem Gesicht ausmachen.
    „Können Sie nach meiner Hand fassen?“, fragte er und beugte sich zu Mr. Oldridge vor. Er vernahm ein unheilvolles Rutschen und hörte, wie Geröll und Erdklumpen in die Tiefe hinabstürzten. Hatte er nicht auch schwach ein Aufplatschen gehört? Inmitten des Regens war das jedoch schwer zu sagen.
    „Ich muss ihn zuerst von mir runterbekommen“, erklärte Oldridge.
    „Warten Sie, ich versuche, Ihnen zu helfen“, meinte Alistair.
    Er ließ sich vorsichtig noch ein wenig weiter herab. Derweil er sich noch immer am Seil festhielt, tastete er mit der anderen Hand, bis er ein regloses Bein fand. „Ich habe ihn“, sagte Alistair. „In welche Richtung soll er?“
    „Zu meiner Linken.“
    „Gut, dann mit vereinten Kräften. Ich zähle bis drei - aber vorsichtig, ganz vorsichtig! Eins. Zwei. Drei.“
    Er zog, und Oldridge schob, und zusammen hievten sie den Leichnam beiseite. Ein weiterer Erdklumpen fiel unter ihnen in die Tiefe.
    „Wir sollten uns besser beeilen“, stellte Alistair fest und war froh, dass der strömende Regen das heftige Pochen seines Herzens übertönte. „Nehmen Sie meine Hand.“
    Oldridge griff nach Alistairs Hand und klammerte sich fest.
    „Können Sie auf meine Schultern klettern?“, fragte Alistair. Der Boden begann, unter seinen Füßen nachzugeben. Vorsichtig wich er von dem in sich zusammensackenden Schutthaufen zurück. „Sie sollten sich schnell entscheiden“, fügte er hinzu.
    Für jeden anderen Mann, selbst einen weitaus jüngeren, wäre es schier unmöglich gewesen, dieser Aufforderung nachzukommen, denn das Loch war eng und weitestgehend verschüttet, die Wände trugen kaum noch, und der Boden unter ihnen drohte jeden Augenblick nachzugeben. Und Oldridge war keineswegs mehr ein junger Mann, wahrscheinlich hatte er zudem Prellungen und war steif vor Kälte - wenn er nicht gar doch ernstlich verletzt war. Aber all die Jahre, während deren er die Berge des Peak hinauf- und hinuntergeklettert und wacker über keineswegs trittfeste Pfade gewandert war, hatten ihn wendig und bei Kräften gehalten. Wenngleich er sich etwas ungelenker bewegte als sonst, gelang es dem Botaniker dennoch, auf Alistairs Schultern zu klettern.
    Alistair richtete sich vorsichtig auf. „Kommen Sie hinauf?“, fragte er.
    „Ah ... ja.“
    Die schwarze Finsternis lichtete sich weiter oben zu einem dunklen Grau. Alistair sah, dass Oldridges Kopf nur mehr eine Handbreit vom Rand des Loches entfernt war. Und dann sah er Mirabels Gesicht. Sie lag auf dem Bauch und hatte ihre Hand ausgestreckt.
    „Komm, Papa“, rief sie.
    Mit ihrer Hilfe gelang es Oldridge, sich mit einem Schwung hochzustemmen und über den Rand zu ziehen.
    Sobald der alte Mann in Sicherheit war, wandte Alistair sich der Leiche von Finch zu. Doch als er sich erneut nach unten beugte, rutschte der leblose Körper ein Stück den Schutthaufen hinab, und das Erdreich - das sich stetig in Matsch verwandelte - schwankte unter Alistairs Füßen und gab dann nach. Er wich rasch zurück, klammerte sich am Seil fest und hörte, wie Erde und Geröll prasselnd unter ihm in die Dunkelheit stürzten.
    „Alistair“, rief Mirabel. „Bitte!“
    „Ich kann ihn nicht hier unten lassen.“
    Er versuchte abermals, nach Finch zu greifen, aber sobald Alistair sich bewegte, sank der Leichnam tiefer in den Morast hinab, bis er ganz außerhalb seiner Reichweite war. Ein weiteres Stück Boden brach weg.
    Der Regen ging immer schneller und stärker nieder und schlug auf Alistairs Kopf. Schlamm und kleine Steine trafen ihn ebenfalls, die sich vom Rand des Loches lösten.
    Das Seil war völlig durchnässt, seine Hände taub. Selbst jetzt, wo er nur stillstand und kaum Gewicht auf dem Seil lastete, vermochte er sich kaum mehr festzuhalten. Der Boden unter ihm gab beständig nach und begann wegzubrechen. Wenn er nun versuchte, nach oben zu klettern, und mit seinem ganzen Gewicht am Seil hing, würde er unweigerlich den Halt verlieren und stürzen. Versuchte er jedoch, die sich stetig in ihre Bestandteile auflösende Schachtwand hinaufzuklettern, würde auch sie

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