Ein unverschaemt charmanter Getleman
voran.
Alistairs Pferd war ein kräftiger Wallach von weitaus weniger beweglichem Temperament.
Normalerweise hätte er wohl ein Pferd vorgezogen, das nicht gar so sanftmütig und schwerfällig war. Im Moment hatte er jedoch Anlass, seine Vorlieben zu überdenken.
Es stimmte, dass er impulsiv und draufgängerisch war -aber nur dann, wenn es sein eigen Leib und Leben betraf. Mit dem Leben anderer ging er niemals so leichtfertig um - auch nicht mit dem von unschuldigen Tieren.
Die Nacht, da er kürzlich im eisigen Regen zurück zu seinem Hotel geritten war, war eine absolute Ausnahme gewesen. Alistair hatte sich noch immer nicht verziehen, Mr. Wilkersons Stute so in Gefahr gebracht zu haben. Wäre sie nicht so trittsicher und robust gewesen, hätte sie bei dem wilden Ritt ernstliche Verletzungen davontragen können. Alistair wagte gar nicht daran zu denken, welche Schmerzen das Tier dann auszustehen gehabt hätte - oder wie allein dem ein Ende hätte gesetzt werden können.
Da ihm diese unbedachte Dummheit noch frisch in Erinnerung gewesen war, hatte er Miss Oldridges Rat beherzigt und sich für den Ausflug eines ihrer Pferde geliehen, da sie ihrer Ansicht nach mit dem Gelände besser vertraut waren als Wilkersons Stute.
„Es ist nicht mehr weit“, rief sie ihm über die Schulter zu, als sie in eine am Hang gelegene Waldung ritten. „Hinter den Bäumen ist ein weiterer Aussichtspunkt, den ich Ihnen gern zeigen würde. Dort könnten wir rasten und uns dann auf den Rückweg machen.“
„Reiten wir denn nicht bis zum Gipfel hinauf?“
Sie blieb stehen und er ebenso, wobei er darauf bedacht war, etwas Abstand zu Miss Oldridges unruhiger Stute Sophy zu halten.
„Wir sind gleich am Ende des alten Packpferdpfads angelangt“, ließ sie ihn wissen. „Weiter oben ist der Weg zu steil und zu steinig, als dass die Pferde dort noch sicher Fuß fassen könnten.“
„Sie waren demnach noch nie dort oben?“
„Doch - zu Fuß“, erwiderte sie.
„Wir könnten absteigen“, meinte Alistair. „Ihr Stallknecht kann auf die Pferde aufpassen.“
Sie warf einen kurzen Blick auf sein lahmes Bein.
Er setzte eine undurchdringliche Miene auf und wartete.
„Durch den starken Regen wird der Untergrund sehr rutschig und unsicher sein“, gab sie zu bedenken.
Vor seinem geistigen Auge flammte plötzlich ein Bild auf von schemenhaften Figuren, die versuchten, Halt zu finden auf einem Boden, der glitschig von Blut war.
Alistair war sich nicht sicher, ob es eine Erinnerung an etwas tatsächlich Erlebtes war oder ob sein Verstand ihm nur einen Streich spielte. Wie dem auch sein mochte, sprechen konnte er darüber ohnehin nicht. Über solche Dinge sprach man nicht, und schon gar nicht zu Frauen.
„Ihnen ist der Aufstieg trotz mehrfach geschichteter Röcke gelungen“, meinte er. „Mein Bein wird sich mir als nicht annähernd so hinderlich erweisen.“
„Das heißt jedoch nicht, dass Sie Ihrem Bein eine solche Tortur zumuten sollten“, fand sie. „Bitte bedenken Sie doch, dass Sie mit dem Gelände keineswegs vertraut sind. Sie sind kein Mann vom Lande, der ..."
„Nein, ich bin ein verweichlichter, dekadenter Londoner. Ist es das, was Sie meinen?“
„Nein, denn ich habe Augen im Kopf“, erwiderte sie geduldig, „und sehe daher sehr wohl, dass Sie keineswegs verweichlicht sind. Abgesehen vielleicht von Ihrer Eitelkeit, die zudem sehr leicht zu kränken ist, wie ich soeben feststellen durfte.“
„Ich wurde von der Kavallerie überrannt und habe überlebt“, bemerkte er. „Somit glaube ich, auch einen Berg besteigen und lebend wieder herunterkommen zu können.“
„Mr. Carsington, sogar Captain Hughes, der noch immer mühelos jeden Schiffsmasten erklimmt und leichtfüßig über die ... was auch immer - Rahen nennt er sie meines Wissens -läuft, sogar er würde es sich zweimal überlegen, ob er sich um diese Jahreszeit auf den oberen Hang wagen sollte.“
„Wenn ich so alt wäre wie Captain Hughes, würde ich es ganz sein lassen.“
„Es ist bedauerlich, dass Sie nicht einmal alt genug sind, um ein wenig mehr Vernunft zu zeigen“, entgegnete sie.
„Wenn ein älterer Herr wie der Captain diesen Hang im Sommer bewältigen kann, dann denke ich doch, dass es mir an einem lauen Frühlingstag gewiss gelingen sollte.“
„Älterer Herr?“ Sie sah ihn einen Moment lang an und sagte dann ruhig und geduldig wie zu einem störrischen Kind: „Wir haben Februar. Und wenngleich der Tag sich zunächst recht
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