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Ein unverschaemt charmanter Getleman

Titel: Ein unverschaemt charmanter Getleman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Loretta Chase
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wie die Sonne zum Fenster hereinscheint?“, fragte Alistair nachsichtig. „Ist Ihnen entgangen, dass der Tag sich freundlich anlässt und die Temperatur komfortabel über dem Gefrierpunkt liegt?“
    „Ich wünschte, ich könnte das Wetter tröstlich finden, Sir“, erwiderte Crewe. „Aber nicht nach einem solchen Traum." Er schüttelte kummervoll den Kopf. „Er war ganz ähnlich wie jener, den ich in der Nacht vor Waterloo geträumt habe."
    Alistair verharrte inmitten seiner Rasur. „Meinen Sie den Traum, in dem ein Straßenräuber mir die Kehle durchschneidet und Sie mich just in dem Augenblick in einer schäbigen Gasse auffinden, da der letzte Tropfen Blut aus meinem Körper rinnt? Oder den, in dem ich von einer Klippe ins Meer stürze und Sie mir hinterherspringen, doch erst zu mir gelangen, da ich bereits ertrunken bin?“
    „Die Klippe, Sir“, antwortete Crewe. „Der Himmel verdüsterte sich mit einem Mal, wie wenn ein Unwetter aufzieht, und das verbleibende Licht mutete ganz unheimlich an. Es war, als ob die Sonne hinter einer grünen Glasscheibe verschwunden sei. An das Licht kann ich mich besonders gut erinnern, da ich es genauso träumte vor jenem verhängnisvollen Tag im Juni 1815.“
    „Heute reite ich aber nicht in die Schlacht“, beruhigte ihn Alistair. „Ich werde lediglich Longledge Hill in Begleitung von Miss Oldridge erkunden. Und seien Sie unbesorgt - wir werden einen Diener mit uns nehmen, denn selbst in der Wildnis pflegt eine Dame niemals ohne Begleitschutz auszugehen. Zweifelsohne wird sie einen kräftigen Stallburschen mit grimmiger Miene mitbringen. Und sollte die Wildheit der Landschaft einen schlechten Einfluss auf mich ausüben und meine Leidenschaft wecken, so wird schon seine bloße Anwesenheit mich entmutigen, Miss Oldridges Tugendhaftigkeit auf die Probe zu stellen. Sollten die Naturgewalten eine ähnliche Wirkung auf die Dame haben, so gehe ich davon aus, mich selbst schützen zu können.“
    Als er fortfuhr, sich mit dem Rasiermesser über die Wange zu schaben, versuchte er, sich vorzustellen, Miss Oldridge würde ihm amouröse Avancen machen. In Anbetracht ihrer freimütigen Art vermutete er, dass sie sich ihm an den Hals werfen würde, im wahrsten Sinne des Wortes. Er sah es schon vor sich, wie ihr Haar sich löste und herabfiel, ihr Gesicht ihm zugewandt und ihr voller Mund leicht geöffnet ... und dann schnitt er sich.
    Crewe erblasste. „Sir, ich wünschte, Sie würden mir gestatten, Ihnen behilflich zu sein.“ Er eilte herbei und drückte ein Handtuch auf den blutigen Kratzer unterhalb von Alistairs Ohr. „Bedenken Sie doch, wie viel derzeit Ihre Gedanken beschäftigt. Wäre es da nicht weise, mir eine Aufgabe zu überlassen, die der ungeteilten Aufmerksamkeit bedarf?“
    Mit einer ungeduldigen Handbewegung winkte Alistair Kammerdiener und Handtuch beiseite. „Wenn der Duke of Wellington sich vor Waterloo ohne fatale Folgen rasieren konnte“, meinte er, „so sollte es mir doch auch gelingen, selbst wenn ich gleich das Vergnügen habe, mich mit der so überaus nüchternen - oder sollte ich sagen ernüchternden? - Miss Oldridge auf ländliche Pfade zu begeben.“
    Crewe verfiel in düsteres Schweigen, und Alistair beendete seine Rasur ohne weitere Vorkommnisse.
    Sobald das Rasiermesser sicher verstaut war und die weniger gefährliche Prozedur des Ankleidens begann, wurde Crewe erneut gesprächig. Während sein Herr gestern Abend bei den Talbots dinierte, habe er eine von den hiesigen Dienstboten stark frequentierte Dorfschenke aufgesucht, um sich ein wenig umzuhören. Nun wisse er auch, warum Lord Gordmors Gesandter von allen Landbesitzern abgewiesen worden war, und diese Neuigkeit bestätigte Alistair nur noch in seinem Eindruck von der Situation in Longledge Hill.
    Über die Oldridges hatte Crewe hingegen nichts Neues in Erfahrung gebracht.
    Lord Hargates heldenhafter Sohn langweilte sich zu Tode.
    Das hätte Mirabel sich denken können. Nach einer Stunde des gemeinsamen Ausritts fing sie an, sich Vorwürfe zu machen, sich überhaupt darauf eingelassen zu haben, ihm ihr geliebtes Longledge Hill zu zeigen - noch dazu zu dieser Jahreszeit, wo die Landschaft vorwiegend braun, grau und von einem äußerst trüben Grün war.
    Er würde es nie mit ihren Augen sehen können.
    Nur wenige Männer konnten das.
    Selbst in Longledge verstand kaum jemand, was sie bewogen hatte, seit mehr als einem Jahrzehnt ihr Leben diesem Flecken Land zu widmen. Und kaum jemand wusste,

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