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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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verteilen, und ordnest sie so an, dass Gunhild sie als Rückenlehne benutzen kann. Anschließend hebst du sie vorsichtig, bis sie eine halb sitzende, halb liegende Position einnimmt. In letzter Zeit hat sie nur selten die Kraft, längere Zeit so zu sitzen, ehe sich die Schmerzen einstellen und die Müdigkeit.
    »Geht es so, Liebling?«
    Sie nickt.
    »Perfekt.«
    »Ist dein Treffen mit Amelie gut verlaufen? Ich war im Atelier und bin ihr gar nicht begegnet.«
    Du versuchst zu überspielen, dass du rot wirst, was dir öfter passiert, als die Leute denken. Falls sie dich durchschaut, lässt sie es sich jedenfalls nicht anmerken.
    »Aber ja, natürlich ist es gut verlaufen«, antwortet sie und räuspert sich.
    Sie tätschelt deine Wange, ehe sie weiterspricht.
    »Danke, dass du uns alleine gelassen hast, Poul. Wir brauchten das, wir hatten so viel zu besprechen …«
    Es bleibt längere Zeit still, bis sie, langsam, weiterspricht.
    »Wenn ich dich heute anschaue, ist es genau wie damals, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Ist das nicht merkwürdig?«
    Du lachst auf. Damit hast du nicht gerechnet. Du willst das Gleiche über sie sagen und öffnest sogar den Mund, bringst jedoch kein Wort heraus. Stattdessen schließt du die Augen, um sie dir so in Erinnerung zu rufen, wie sie bei eurer ersten Begegnung ausgesehen hat, und siehst nichts. Nur ein blendend weißes Licht, in dem sich nichts erkennen lässt.

Mit Geld, sagte er mit beherrschter Stimme,
    mit Geld kann man alles kaufen – auch Sie, Herr Bjerre.
    Ahrweiler, 23. Oktober 1921
    Das Jackett saß perfekt und hatte exakt die sartorial elegance , die Sören Christer hervorheben wollte. Der englische Schnitt an den Schultern und die geschmackvollen Revers verliehen ihm eine lange, elegante Linie, und die kleine zusätzliche Ta sche kurz über der rechten ließ es sportlich und modern aussehen. Die Hose, dachte er und stellte sich ins Profil, könnte an den Oberschenkeln möglicherweise eine Spur eingenäht werden, obwohl man das vermutlich nicht sah, es ging höchstens um ein paar Millimeter. Das Beste war jedoch das Material: feinster Wollstoff aus Italien, grau mit moosgrünen, sich kreuzenden Strichen. Es machte ihn schon glücklich, einfach nur die Qualität an seiner flachen Hand zu spüren, und auch, wie herb und männlich der Stoff roch.
    Schade nur, dass er die Weste nicht bekommen hatte, um die er gebeten hatte. Ein Anzug ohne Weste war einfach nicht das Wahre. Er überlegte, ob er einen Fehler gemacht hatte, durch den es ihm nicht gelungen war, seine Mutter davon zu überzeugen, dass es Wahnsinn war, so viel Geld für einen neuen Anzug auszugeben und dann nicht die paar Mark für eine Weste draufzulegen. Aber sie war unnachgiebig geblieben. Jedenfalls hatte er die Karte des Schneiders in Berlin eingesteckt, um zu einem späteren Zeitpunkt eine Weste aus demselben Material anfertigen lassen zu können.
    Er musterte den Anzug noch einmal im Spiegel, der in Wahrheit bloß eine Blechplatte war. Spiegel waren in den Zimmern nicht zugelassen, nicht einmal Taschenspiegel. Gleiches galt für Gürtel oder Rasiermesser, sodass man die Pfleger bei Bedarf um ein Messer bitten und es unter Aufsicht benutzen musste. Er seufzte, zog den Anzug aus und hängte ihn vorsichtig auf einen Kleiderbügel.
    Anschließend zog er seine gewöhnlichen Kleider an, die er so viel weniger mochte. Er konnte sich nicht dazu durchringen, eine Krawatte oder Fliege anzulegen. Er fand, dass die Tage schrecklich langsam vergingen. Außerdem schmeckte das Essen ekelhaft, fast so ekelhaft, wie es roch. Nein, es roch nicht, dachte er, es stank . Der ganze Speisesaal stank, wenn er sich ihm näherte. Widerliche, halb durchgebratene Würste und zerkochte Kartoffeln, die mit Sicherheit von jemandem zubereitet worden waren, dem statt Butter nur Schweineschmalz zur Verfügung gestanden hatte und der jede Form von Essenszubereitung hasste. Er würde seinem Vater brieflich mitteilen, wofür er bezahlte, für ungenießbares Essen, das man in Schweden nicht einmal den Schweinen zum Fraß vorgeworfen hätte.
    Die Antwortbriefe seines Vaters waren vage geblieben. Halte durch, hieß es in ihnen. Halte durch, dann wird es bestimmt bald besser. Er konnte nicht fassen, dass sich sein Vater so äußerte. Er hatte Sören Christer nicht einmal den versprochenen Sessel geschickt. Auf dem entsprechenden Möbel in seinem Zimmer konnte man kaum sitzen, eine Feder drückte sich einem in den Po. Unter solchen

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