Ein unversoehnliches Herz
tun?«
»Was?«
»Ihm eine knallen.«
»Nein, wozu, er hat doch aufgehört.«
Sören Christer holte seine Zigarettenschachtel heraus und bot dem Jungen, der ihn angesprochen hatte, eine an. Der nickte und nahm sich eine. Gleichzeitig streckte sich der Jüngste ebenfalls nach einer, aber Sören Christer wies ihn ab, indem er ihm auf die Finger schlug. Der Kleine schreckte augenblicklich zurück.
»Na, also. Ich sag ja, dass er sonst nichts kapiert. Er ist nämlich taub.«
»Aha«, sagte Sören Christer. »Haben Sie Feuer?«
»Sicher.«
Er hielt die Hand um das Streichholz gewölbt und zündete Sören Christers Zigarette an. Dann sagte er:
»Setzen Sie sich beim Abendessen zu mir. Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen.«
Als die Trillerpfeife ertönte, war die Pause vorbei, und alle kehrten auf ihre Zimmer zurück. Sören Christer, der Kling am oberen Treppenabsatz warten sah, stieg mit schleppenden Schritten die Treppe hinauf und ging ins Haus. Kling blieb immer einen Schritt hinter ihm. Er öffnete die Tür, und Sören Christer machte ein paar Schritte in den Raum hinein und drehte sich um.
»Haben Sie die Waren?«
»Warum so ungeduldig, Herr Bjerre? Das habe ich Ihnen doch schon gesagt. Trauen Sie mir etwa nicht?«
»Doch …«
Kling schloss die Tür hinter ihnen und lehnte sich an die Wand. Sören Christer setzte sich aufs Bett. Das Zimmer erschien ihm kleiner denn je.
»Sie sollten sich vor Herrn Lange in acht nehmen.«
»Und warum?«
»Aus verschiedenen Gründen. In erster Linie, weil er lügt. Das tun hier zwar alle, aber seine Lügen sind gefährlicher als die der anderen. Außerdem trägt er immer ein Messer bei sich, und zwar als Einziger.«
»Warum kann er ein Messer tragen?«
»Weil ich es gestatte.«
»Ich verstehe nicht.«
»Nein, das sehe ich«, lachte Kling. »Herr Lange stammt aus einer der reichsten Familien Frankfurts. Jedenfalls behauptet er das. Ich erlaube ihm das Messer, weil er mich dafür bezahlt, es tragen zu dürfen. Für Geld kann man hier alles kaufen. Allerdings unter einer Bedingung: dass ich es genehmigt habe.«
Kling öffnete Sören Christers Kleiderschrank, holte eine Schatulle heraus und stellte sie auf den Schreibtisch.
»Hier sind die Zigaretten, um die Sie gebeten haben.«
»Kann ich in einer Woche bezahlen?«
»Es wäre klüger, sofort zu bezahlen.«
»Aber ich bekomme erst nächste Woche neues Geld. Meine Mutter schickt mir welches.«
»Ich werde Ihnen jetzt etwas erklären, Herr Bjerre, damit Sie Bescheid wissen. Sie können bei mir auf Kredit kaufen. Das ist ziemlich typisch für Leute wie Sie. Großspurig beim Bestellen, wollen die feinsten Marken und die besten Lieferanten, aber wenn es ans Bezahlen geht, werden sie immer ganz klein. Die Regeln sind einfach: Solange Sie mir etwas schulden, habe ich das Recht, diese Schuld einzutreiben. Vielleicht tue ich das nicht, vielleicht lasse ich Sie sogar weitere Waren bestellen. Aber ich kann meine Schuld jederzeit eintreiben, und dann müssen Sie mit dem bezahlen, was Sie haben.«
»Und wenn ich nichts habe?«
»Sie haben einen schönen Anzug in ihrem Kleiderschrank.«
»Den werde ich niemals verkaufen.«
»Dann werden Sie tun müssen, was viele andere hier auch tun. Geld beim Kartenspiel verdienen oder sich selbst verkaufen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie verstehen schon, was ich meine, Herr Bjerre.«
»Wenn Sie glauben, ich würde …«
»Jetzt regen Sie sich nicht auf. Sie bekommen nächste Woche ja Geld.«
Kling wollte gehen. Er öffnete die Tür und drehte sich noch einmal um.
»Mit Geld«, sagte er mit beherrschter Stimme, »mit Geld kann man alles kaufen – auch Sie, Herr Bjerre. Ach ja, Ihr Privatlehrer soll vom Vier-Uhr-Zug abgeholt werden. Ich nehme an, dass Doktor Marks Sie zu einer Besprechung rufen lassen wird.«
Kling schloss die Tür hinter sich, und Sören Christer hörte ihn den Riegel vorschieben. Erneut ertönte das abscheuliche klickende Geräusch, gefolgt von betäubender Stille, so als wäre alle Luft aus dem Raum gesogen worden.
Die Essensgerüche, die Sören Christer auf dem Weg zum Speisesaal entgegenschlugen, ließen in ihm den Wunsch aufkeimen, augenblicklich auf sein Zimmer zurückzukehren. Er war nicht einmal hungrig. Nur seine Neugier ließ ihn weitergehen. Er hatte keine Ahnung, worüber Lange mit ihm reden wollte, und seine Spekulationen hatten ihm nur Kopfschmerzen eingetragen.
Der Speisesaal, oder Aufenthaltsraum, wie er eigentlich genannt wurde, war fast
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