Ein unwiderstehliches Angebot: Roman (German Edition)
Wenn’s nur ums Wollen ginge, kämen sicher noch ein paar hinzu.«
Charles dachte eine Weile nach, was diese Enthüllung für Lucien bedeutete. »Ich verstehe, was Ihr meint … Wie hoch ist die Chance, dass mein Bruder am Leben ist? Bestimmt haben sie den Irrtum inzwischen bemerkt. Es sind immerhin Wochen her …«
»Ich will die Wahrheit nicht beschönigen, denn damit würde ich Euch keinen Gefallen tun. Wir können nur hoffen, dass Lucien ziemlich bald merkte, was Sache war, und sich eine entsprechende Strategie zurechtgelegt hat.«
Mit anderen Worten: Es stand nicht gut. Wie sollte Lucien Leuten entkommen, die ihn mit Vorsatz in ihre Gewalt gebracht hatten? Bestimmt ließen ihn die nicht frei herumspazieren. Und so wie er Northfield verstand, handelte es sich außerdem nicht um Dummköpfe, die sich ohne Weiteres austricksen ließen. Und das bedeutete …
Todtraurig murmelte Charles: »Dann werden sie ihn bestimmt …« Er mochte es weder zu Ende denken noch aussprechen.
Northfield nickte düster. »Ja, diese Leute … wenn es sich um sie handelt … werden sich auch nicht bestechen lassen, und deshalb wird es keine Forderungen geben.« Damien lehnte sich zurück. »Ich will Euch nicht anlügen. Diese Kerle sind weiß Gott nicht gerade der Inbegriff christlicher Nächstenliebe. Sie wollten mich schon einmal für meine vermeintlichen Sünden sterben lassen, doch kam zum Glück rechtzeitig Hilfe, und ich konnte fliehen. Sobald Artemis, übrigens ein Deckname, erkennt, dass er den Falschen hat, ist Euer Bruder nicht bloß wertlos für ihn, sondern stellt eine Bedrohung dar. Sagen wir es so: An seinem Tod liegt ihm nichts, aber er kann ihn nicht am Leben lassen.«
»Wer ist Artemis?«
»Ein Erzrivale. Und deshalb gehe ich davon aus, dass er für die Entführung verantwortlich ist. Ich halte ihn für so fanatisch, dass er kein Risiko scheut. Er will einfach seine Rache, um jeden Preis.«
»Wer zum Teufel ist dieser Kerl?«
»Jemand, den Ihr besser niemals trefft.«
»Das klingt nicht sonderlich beruhigend.«
»Es liegt nicht in meiner Absicht, Euch zu beruhigen. Ich wollte Euch lediglich über meine Schlussfolgerungen informieren.«
Sie blickten einander schweigend an. Andere Gäste lachten, zündeten ihre Pfeifen an und orderten Getränke … In Charles’ Ohren klang ihre Fröhlichkeit wie Hohn. Northfield trank seinen Whisky aus und stellte das Glas beiseite.
»Sie werden ihn außer Landes gebracht haben.«
»Wohin zum Beispiel?«
»Ich bin mir nicht sicher, doch das werde ich herausfinden«, erwiderte sein Gegenüber knapp, stand auf, nickte Charles zum Abschied zu und ging so still davon, wie er gekommen war.
Louisa blieb zögernd vor der Tür stehen, ehe sie anklopfte.
Keine Antwort.
Vielleicht hatte Vivian sich hingelegt.
Sie war ein Mädchen vom Land … unerfahren und mit den Regeln des Stadtlebens nicht vertraut. Ja, vielleicht auch naiv. Aber über die natürlichen Prozesse des Lebens wusste sie besser Bescheid als die behüteten höheren Töchter, und sie glaubte langsam zu begreifen, warum Charles sie hierhergeschickt hatte.
»Vivian?«
Es dauerte einen Moment, ehe die Tür geöffnet wurde. Sie trug ein pinkfarbenes Tageskleid, und ihre Haare umflossen schimmernd Gesicht und Schultern. Wie eine Madonna, dachte Louisa.
»Oh, du bist es. Tut mir leid, ich muss wohl eingeschlafen sein. Komm bitte herein.«
Dieses Gespräch würde nicht leicht werden, denn ihr als Außenseiterin stand eine solche Einmischung eigentlich nicht zu. Trotzdem war Louisa wild entschlossen, das Thema anzusprechen. Sie setzte sich und schaute sich um. Das Zimmer war elegant, allerdings maskulin … Vermutlich handelte es sich um die Räumlichkeiten des Marquess. Die Möbel waren schwer und dunkel und die Stoffe ohne verspielte Muster, ohne Rüschen, Schleifen und Quasten. Außerdem stand auf dem Tisch in der Ecke eine Karaffe mit Brandy, und auf der Sessellehne lag eine Zeitung, die schon Monate alt sein musste.
Vivian hatte offenbar nichts verändert.
Der Duke schätzte seine Beinaheschwiegertochter sehr. Nun ja, er kannte sie seit Kindesbeinen, sie war die Tochter seines engsten Freundes, und sie teilte seine Leidenschaft für die Botanik. Überhaupt schienen sie viel gemeinsam zu haben.
Sie hingegen, sie hatte nichts, was den Duke interessierte.
Louisa fühlte sich einfach nur hilflos.
»Ich vermisse Charles«, stieß sie hervor.
»Das tue ich auch.« Vivian blickte sie ratlos an. »Ich dachte, er
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