Ein unwiderstehliches Angebot: Roman (German Edition)
das nicht.
Lucien entschied sich, dem Engländer zu vertrauen.
Möglichst gelassen sagte er: »Wie ich hergekommen bin? Das ist eine recht interessante Geschichte, Colonel.«
Kapitel 22
»Caverleigh. Ich habe gehofft, Euch hier zu finden. Der Sekretär Eures Vaters meinte, Ihr wärt vermutlich im Club.«
Charles blickte auf. Vor ihm stand ein Mann, den er nicht kannte und der sich jetzt als Lord Damien Northfield vorstellte.
Wellingtons Spion, wie man ihn hinter vorgehaltener Hand gerne nannte.
Eigentlich war Charles nur in den Club gekommen, um eine Kleinigkeit zu essen, und dann hängen geblieben. Er hatte ein paar Unterlagen dabei, die er durcharbeiten musste. Es war mühselig gewesen, sich einzuarbeiten, aber zu seiner Genugtuung kam er besser damit klar als erwartet. Sogar der Bankier und der Anwalt der Familie hatten ihm bereits ihre Anerkennung gezollt. Trotzdem wollte sich ein wirkliches Hochgefühl nicht einstellen, weil eigentlich Lucien an seiner Stelle diese Dinge erledigen sollte. Hinzu kam, dass er Louisa vermisste.
»Bitte, setzt Euch.« Er wartete, bis Northfield Platz genommen hatte. »Ihr habt nach mir gesucht? Warum?«
Der unerwartete Besucher betrachtete ihn eine Weile schweigend und mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck. »Ich glaube, ich bin für das Verschwinden Eures Bruders verantwortlich.«
Charles war verwirrt. Wieso konnte ein angesehener Gentleman wie er damit etwas zu tun haben?
»Bitte redet, ich bin brennend interessiert.«
Ein Kellner tauchte aus dem Nichts auf, stellte stumm einen Whisky vor Northfield ab und verschwand sogleich wieder. Der jüngere Bruder des Dukes of Rolthven spielte mit dem Glas, ohne einen Schluck zu nehmen. »Meine Frau und Vivian Lacrosse sind gute Freundinnen, wie Ihr sicher wisst.«
»Ja.« Charles erinnerte sich noch sehr genau, dass Lady Lillians erste Saison mit einem spektakulären Skandal endete und dass sie später auf Drängen ihres Bruders und unter dem Schutz der Duchess of Eddington in die Gesellschaft zurückkehrte. Vivian hatte sich sehr für sie gefreut, als sie auf einem Ball Northfield begegnete, sich in ihn verliebte und ihn bald heiratete.
»Meine Frau und Miss Lacrosse haben mich gebeten, Erkundigungen über den Verbleib Ihres Bruders einzuziehen«, sagte er, als sei das ein Kinderspiel. »Im Krieg habe ich ein bisschen Spionage betrieben. Nachforschungen anstellen und Informationen sammeln gehörte damals zu meinen Aufgaben.«
»Ein bisschen Spionage« dürfte eine bescheidene Untertreibung sein, dachte Charles. Wenn man den Gerüchten Glauben schenken durfte, war Northfield ein Topspion gewesen.
»Sicher eine interessante Tätigkeit«, meinte er unverbindlich. »Nur sehe ich nicht, was das alles mit Luciens Verschwinden zu tun hat und inwiefern Ihr daran schuld sein solltet.«
»Es gibt Männer, die auf Rache aus sind.« Lässig hob Northfield das Glas, trank einen Schluck und stellte es wieder ab. »Zwar ist der Krieg vorbei, doch manch einer denkt, er müsse noch eine alte Rechnung begleichen, weil er einige Ereignisse während des Kriegsverlaufs persönlich genommen hat. Das kommt nicht selten vor.«
»Ich verstehe nach wie vor nicht …«
»Meine Nachforschungen haben mich zu dem Schluss kommen lassen, dass Euer Bruder versehentlich entführt wurde. Wir sind im selben Alter, beide die Söhne eines Dukes und Mitglied im selben Club, haben in etwa die gleiche Größe und Figur und eine sehr ähnliche Haarfarbe. Vermutlich wurde er an jenem Tag beobachtet, als er mein Haus verließ … Er schaute kurz vorbei, weil er seine Verlobte bei uns wähnte. Als ich mit meiner Suche begann, stellte ich recht schnell fest, wie sehr seine Angewohnheiten den meinigen insgesamt ähneln. So lassen wir beim selben Schneider arbeiten und hatten an dem fraglichen Nachmittag beide einen Termin dort.«
Charles folgte gespannt den Ausführungen. Sicher eine plausible Theorie, wenngleich eine sehr makabre. Wenn das stimmte …
»Verstehe ich das recht, dass diese Feinde aus Kriegszeiten Euch nicht auf eine Tasse Tee einladen wollten?«
»Nein.« Northfields dunkle Augen blickten ihn ernst an. »Ich denke vor allem an zwei Männer, die mich so sehr hassen, dass eine Entführung ihnen die Zeit, den Aufwand und das Risiko wert wäre.«
»Ihr kennt zwei Menschen, die Euch entführen möchten?«
Northfield ließ ein kurzes, unfrohes Lachen hören: »Nein. Ich kenne zwei Leute, die dazu fähig wären. Das ist absolut nicht dasselbe.
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