Ein Vampir fuer alle Sinne
erzählen, dass sie seit hundert Jahren regelmäßig Blut trank und man mit der Zeit lernte, die einzelnen Gruppen am Geschmack zu unterscheiden. Da sie vor ein paar Wochen einige Tage hintereinander sein Blut getrunken hatte, konnte sie die Frage mühelos beantworten.
Die Krankenschwester lief los, um Blutkonserven für eine Transfusion zu holen, während der Arzt sich die Verletzung genauer ansah. Er hatte die Wunde bereits gesäubert und vernähte den Schnitt, als die Schwester zurückkam und je einen Tropf für das Blut und für eine Flasche mit einer klaren Flüssigkeit vorbereitete, vermutlich eine Kochsalzlösung.
Jeanne Louise verfolgte alles wortlos, während ihr Herz raste.
»Sie können von Glück reden, Mr Jones«, erklärte der Arzt, als er einen Verband anlegte. »Sie haben den Knochen nur ganz leicht erwischt, dafür eine Ader aber so richtig. Ein paar Minuten länger, und Sie wären verblutet.«
Paul reagierte lediglich mit einem Brummen auf diese Worte. Allmählich kam er wieder zu sich, wohl weil sein Körper mit neuem Blut und der Kochsalzlösung versorgt wurde. Jeanne Louise dagegen war nun übel, ihr Magen verkrampfte sich, und ihr war schwindlig. Beinahe hätte sie ihn verloren, und das alles wegen eines idiotischen Unfalls. Wie oft würde sie so etwas noch mitmachen müssen, bis es schließlich keine Rettung mehr gab? Wie oft würde sie mit ihm wegen eines Fiebers, einer Grippe oder einer Lungenentzündung in die Notaufnahme fahren müssen?
Dieser sterbliche Körper war im Gegensatz zu dem eines Unsterblichen so empfindlich. Das hier würde nicht das einzige Mal bleiben, dass sie so etwas miterleben musste, wenn sie bei ihm blieb. Es war nur das erste von vielen Malen, bis sie ihn irgendwann endgültig verlor. Eines Tages würde sie mit ihm ins Krankenhaus rasen und zu hören bekommen, dass man nichts mehr für ihn tun könne. Sie glaubte nicht, dass sie das ertragen würde.
»Legen Sie sich einfach hin und entspannen Sie sich«, sagte der Arzt und tätschelte Pauls Arm. »Wenn wir mit den Infusionen fertig sind, sehe ich wieder nach Ihnen. Vermutlich werden wir Sie dann auch schon entlassen können.«
»Ihr Schlüssel.«
Jeanne Louise drehte sich zur Seite und sah den Wachmann, dem sie am Eingang zum Krankenhaus begegnet waren. Er erklärte ihr, wo ihr Wagen stand, und drückte ihr den Schlüssel in die Hand. »Doris am Empfang sagt, Sie möchten doch bitte noch zu ihr kommen«, fügte er dann an. »Sie benötigt noch einige Angaben zur Person, die Gesundheitskarte und so weiter.«
Sie sah zu Paul, der mit seiner unversehrten Hand seine Brieftasche hervorholte und sie ihr gab. Jeanne Louise nahm sie wortlos entgegen, hob Livy wieder auf den Arm und verließ das Behandlungszimmer.
Während sie dem Wachmann nach vorn zum Empfang folgte, musste sie daran denken, dass Paul allein zum Krankenhaus hatte fahren wollen. Er war sogar beleidigt gewesen, als sie darauf bestanden hatte, ihn zu fahren, und er hatte ihr vorgeworfen, ihn nur wieder bemuttern zu wollen. Nach seinem Wutausbruch von neulich war sie vorhin fast verleitet gewesen, ihm seinen Willen zu lassen. Und dann wäre er jetzt vermutlich tot. Unterwegs wäre ihm schwindlig geworden, und er hätte einen Unfall gebaut. Wäre er dabei beispielsweise im Straßengraben gelandet, hätte er es niemals rechtzeitig in die Notaufnahme geschafft. Nur ihre Hartnäckigkeit hatte ihm das Leben gerettet, aber es war kaum davon auszugehen, dass er ihr dafür danken würde. Es war lediglich ein weiterer Beweis für ihr Bemuttern und für den Umstand, dass sie ihn nicht einen »Mann« sein ließ.
»Einen sterblichen Mann«, murmelte sie. Das Problem war nicht, dass er ein Mann, sondern dass er ein Sterblicher war. Sie würde ihn verlieren, zwar nicht jetzt und hier, aber irgendwann würde der Moment kommen, und der heutige Ausflug zum Krankenhaus war nur der erste von vermutlich noch vielen. Und alles nur, weil er beweisen wollte, dass er kein Schwächling war, und dafür völlig alberne Risiken einging.
Zugegeben, der heutige Zwischenfall war wohl nicht einer von seinen Versuchen, seine Männlichkeit unter Beweis zu stellen. Aber er würde darauf bestehen, Dinge zu heben und zu tragen, die einfach zu schwer für ihn waren, und dann …
Jeanne Louise unterbrach ihren Gedankengang, als ihr klar wurde, was sie da tat: Sie bastelte sich mögliche Szenarien zurecht, um eine Ausrede zu haben, warum sie diese Beziehung beenden musste. Dabei brauchte
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