Ein Vampir fuer alle Sinne
Dinge inzwischen wieder vergessen hatte. Falls ja, war er mehr als froh darüber und konnte nur hoffen, dass sie sich nicht wieder daran erinnerte.
»Ja, natürlich«, erwiderte er, nahm ihr Glas, füllte es noch einmal auf und gab es ihr zurück. »Möchtest du jetzt vielleicht auch etwas essen?«, forschte er vorsichtig nach.
Livy legte den Kopf schräg und dachte über die Frage nach. Er war sich sicher, dass sie so wie üblich verneinen würde, doch dann überraschte sie ihn mit den Worten: »Können wir zusammen mit Jeanne Louise draußen ein Picknick machen? Das wär bestimmt schön. Und dann kann ich ihr auch Fotos von Mommy zeigen.«
Einen Moment lang rührte sich Paul nicht, da er über ihr Anliegen nachdachte. Er wollte, dass Livy von sich aus aß, und soeben hatte sie zum ersten Mal seit Tagen Interesse daran bekundet. Außerdem sollte Jeanne Louise seine Tochter besser kennenlernen, denn wenn ihr erst einmal klar war, was für ein wundervolles, reizendes Kind sie vor sich hatte, würde sie ihm ihre Hilfe sicher nicht verweigern. Der Haken an der Sache war nur, dass er es nicht wagte, sie von ihren Ketten zu befreien, sie in Ketten gelegt aber wiederum nicht zu einem Picknick mitkommen konnte. Außerdem bestand die Gefahr, dass sie Livy gegenüber eine Bemerkung darüber machte, dass sie gegen ihren Willen hergebracht worden war.
»Weißt du was?«, sagte er schließlich und stellte die Packung Orangensaft weg. »Ich werde sie fragen, ob sie an einem Picknick interessiert ist. Falls ja, gehen wir zu ihr nach unten, okay?«
»Okay«, antwortete Livy zufrieden.
Auf dem Weg zur Kellertür sagte er dann noch zu ihr: »Du bleibst brav hier und trinkst deinen Orangensaft. Ich bin gleich wieder da.«
»Okay«, sagte sie abermals, während er die Tür aufmachte.
Er ging die Treppe runter und zerbrach sich den Kopf darüber, wie er Jeanne Louise wohl am besten zu einem Picknick überreden konnte, ohne dass sie dabei ihre Entführung erwähnte. Eigentlich konnte er sie nur anflehen, den Mund zu halten, was für ihn kein Problem darstellte, weil es hier um seine Tochter ging. Er würde noch viel mehr als nur das tun, um Livy zu helfen, und sein Gefühl sagte ihm, dass auch noch viel mehr auf ihn wartete, bis dieses Problem gelöst war.
Als er sich seinem alten Arbeitszimmer näherte, stellte er überrascht fest, dass er vergessen hatte, die Tür hinter sich zuzumachen, nachdem er mit Livy nach oben gegangen war. Der Raum war schalldicht isoliert, aber natürlich musste dafür auch die Tür geschlossen sein. Die Isolierung gehörte zu seinem Plan, mit dessen Umsetzung er im Verlauf des letzten Monats begonnen hatte. Die Entscheidung, sein Arbeitszimmer zu verlegen, damit er Jeanne Louise hier unterbringen konnte, basierte in erster Linie auf der Tatsache, dass es sich um einen fensterlosen Raum handelte. Das Krankenbett war ein Überbleibsel aus der Zeit, als Jerri ihre letzten Tage hier im Haus verbracht hatte. Es wäre ihm gegen den Strich gegangen, sie in einem kalten, sterilen Krankenhauszimmer sterben zu lassen, also hatte er sie heimgeholt, damit er sich, von einer Krankenschwester unterstützt, in den letzten zwei Wochen ihres Lebens um sie kümmern und über sie wachen konnte.
Zu seinem Plan hatte es auch gehört, die Ketten zu beschaffen. Außerdem hatte er sich jeden Tag eine kleine Menge Blut abgenommen, um einen Vorrat anzulegen, von dem sich Jeanne Louise ernähren konnte, solange sie bei ihm war. Und nebenher hatte er sich unzählige Male überlegt, wie und wann er die Entführung am besten in die Tat umsetzte.
Natürlich hätte er sie viel früher kidnappen können, wenn er einfach eine Blutbank überfallen hätte, um einen ausreichenden Vorrat an Konserven zu rauben. Aber er war kein Dieb, er überfiel keine anderen Leute, und die Blutbanken klagten auch so schon über zu geringe Vorräte an Blutkonserven. Er hätte es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren können, dass womöglich ein anderer Mensch gestorben wäre, nur weil Paul ausgerechnet die für den anderen überlebenswichtigen Blutbeutel mitgenommen hätte. Dieser längere Zeitraum, der durch seine Eigenblutspenden notwendig geworden war, hatte es ihm zudem erlaubt, die Entführung in aller Gründlichkeit zu planen. In diesem einen Monat waren ihm verschiedene Szenarien durch den Kopf gegangen, doch der Plan, für den er sich letztlich entschieden hatte, war auch jetzt noch der beste, wie er selbst sagen musste.
Als er den Kellerraum
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