Ein Vampir fuer alle Sinne
auf. Dennoch konnte sie nicht das Bild aus ihrem Kopf vertreiben, das ihn splitternackt zeigte. Zum Teufel mit diesem Kerl!
»Wie lange haben Sie für Argeneau Enterprises gearbeitet?«, fragte Jeanne Louise auf der Suche nach einem harmloseren Thema.
»Seit zwei Jahren und vier Monaten«, antwortete er. »Nicht ganz einen Monat nach dem Tod von Livys Mutter habe ich dort angefangen.«
»Wie ist sie gestorben?«, wollte Jeanne Louise wissen.
»In der Woche vor Weihnachten war sie auf dem Weg von der Arbeit nach Hause, als sie von einem betrunkenen Fahrer gerammt wurde. Ihr Wagen wurde gegen einen Telefonmast geschleudert. Sie lebte noch fast bis Silvester, dann …« Der Rest ging in einem betrübten Seufzer unter.
Einen Moment lang schwieg sie, dann lenkte sie die Unterhaltung von seiner wunderschönen Ehefrau auf ein anderes Thema. »Dann ist Livy fast sechs?«
»Ja, nächsten Monat hat sie Geburtstag«, murmelte er.
Er hatte zwei Wochen lang mitangesehen, wie seine Frau allmählich gestorben war, überlegte Jeanne Louise bedrückt, und nun sollte er das bei seiner hübschen Tochter noch einmal durchmachen müssen? Sie konnte sich vorstellen, wie verzweifelt er gewesen sein musste, um eine Unsterbliche zu entführen. Zumindest dann, wenn ihre Vermutungen über sein Motiv zutrafen. Aber da war sie sich sehr, sehr sicher. Womit sich jedoch eine Frage stellte: »Warum ich?«
Er sah sie verständnislos an. »Bitte?«
»Warum haben Sie ausgerechnet mich entführt?«, erklärte Jeanne Louise. »Bei Argeneau Enterprises arbeiten viele Unsterbliche. Warum gerade ich?«
Paul zog die Brauen zusammen. »Ich habe keine Ahnung«, gestand er ihr. »Es war …« Er schüttelte hilflos den Kopf und sah Jeanne Louise ratlos an. »Sie kamen mir einfach als Erste in den Sinn, als ich …«
Nach nur wenigen Sekunden wurde ihr klar, dass er den Rest in Form von »als ich beschlossen hatte, dass ich einen Unsterblichen benötige, damit meine Tochter gerettet wird« nicht aussprechen würde. Offenbar war er noch nicht bereit das zuzugeben, da er zweifellos erst Gewissheit haben wollte, dass sie Livy wirklich von ganzem Herzen mochte, bevor er ihr seinen Vorschlag unterbreitete. Seiner Ansicht nach verbesserte er so die Chancen, dass sie das Mädchen wandelte. Aber er hatte keine Ahnung, was er damit von ihr verlangen würde – und was er verlieren würde, wenn sie auf sein Ansinnen nicht einging.
»Sie sind mir in der Firma ein paarmal aufgefallen«, erklärte er von sich aus. »Wir machen immer zur gleichen Zeit Pause, aber wir haben in den letzten fast zweieinhalb Jahren nie an ein und demselben Tisch gesessen.«
Jeanne Louise musste schlucken, entgegnete jedoch nichts. Zweieinhalb Jahre lang war er dreimal am Tag in die Cafeteria gegangen, und doch war sie nie auf ihn aufmerksam geworden. Wahrscheinlich war sie in der Firma tausendmal an ihm vorbeigegangen, ohne ihm auch nur einen Blick zuzuwerfen. Und natürlich hatte sie so auch nie den Versuch unternommen, seine Gedanken zu lesen. Hätte sie das gemacht … großer Gott, ihr Lebensgefährte war die ganze Zeit über zum Greifen nah gewesen, ging es ihr voller Entsetzen durch den Kopf.
»Von den Knöcheln an aufwärts wirken Sie immer so korrekt und professionell, aber Sie tragen verdammt heiße Schuhe.«
Sie stutzte, als sie das hörte, und sah auf ihre Füße, aber die waren unter einer Decke verborgen, damit Livy die Kette nicht bemerkte. Ansonsten wäre ihr Blick jetzt auf schwarze Schuhe mit zwölf Zentimeter hohen, mit Nieten verzierten Absätzen gefallen. Verdammt heiß? Natürlich waren ihre Schuhe sexy, etwas anderes kaufte sie erst gar nicht. Allerdings war sie immer der Meinung gewesen, dass die von den langen Hosenbeinen verdeckt wurden. Aber wenn sie im Sitzen die Beine übereinanderschlug, dann war es durchaus denkbar, dass der Stoff weit genug nach oben rutschte, um ihre Schuhe zum Vorschein zu bringen. Auf den Gedanken war sie nie gekommen, und sie hätte auch nicht gedacht, dass irgendjemand davon Notiz nehmen würde. Aber genau das hatte Paul offensichtlich getan.
»Daddy, kann ich mit Boomer reingehen und den Drachenfilm gucken?«
Jeanne Louise sah Livy freundlich an, als die mit dem Hund im Schlepptau zu ihnen kam. Sie wunderte sich, dass die Kleine so blass war. Als sie in ihren Verstand vordrang, wurde sie von einem Schmerz überwältigt, der sie zusammenzucken und die Augen zukneifen ließ. Die Kleine hatte so schreckliche Kopfschmerzen, dass
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