Ein Vampir fuer alle Sinne
begonnen hatte, ihr Fotos der verstorbenen Mutter hinzuhalten.
»Danke«, sagte Jeanne Louise und nahm das Sandwich an sich, das Paul ihr hinhielt, packte es aus und biss beiläufig davon ab, da sie sich weiter auf Livy konzentrierte. Doch die regelrechte Geschmacksexplosion auf ihrer Zunge ließ sie leicht zusammenzucken, was zur Folge hatte, dass ihr die Kontrolle über das Mädchen ein wenig entglitt.
»Stimmt was nicht?«, fragte Paul, der gerade sein eigenes Sandwich auspacken wollte, das aber für den Moment unterbrochen hatte.
»Nein, nein«, gab sie hastig zurück. »Es schmeckt köstlich.«
Aus dem Augenwinkel bemerkte sie sein Lächeln und wusste, worauf es anspielte: Sie hatte Livy erzählt, er habe das Sandwich genau richtig belegt, ohne dass sie zuvor davon probiert hatte. Er sagte aber nichts, da er vermutlich fürchtete, Livy könnte aufhören zu essen, sobald sie das hörte.
»Ich habe auch Chips mitgebracht«, sagte Paul auf einmal und legte sein Brot zur Seite, um zwei Chipstüten aus dem Korb zu holen – Barbecue und Sour Cream mit Zwiebeln. »Ich weiß, Sie haben in der Cafeteria schon beide Sorten gegessen, deshalb weiß ich nicht, welche Sie lieber mögen.«
»Die schmecken mir beide gleich gut«, antwortete Jeanne Louise. »Manchmal habe ich mehr Appetit auf Barbecue und dann wieder auf die andere Sorte. Kommt darauf an, wie ich gelaunt bin.«
»Und welche mögen Sie heute lieber?«, fragte er und zog eine Augenbraue hoch.
»Barbecue«, entschied sie.
»Und was sagt das über Ihre Laune aus?«, wollte Paul wissen.
»Dass mir nach etwas Würzigem ist?«, konterte sie, während sie weiter auf Livy achtete.
»Hmmm«, machte er, und sie hörte, wie er eine der Tüten aufriss.
Livy hatte den letzten Bissen bewältigt. Jeanne Louise hielt noch einen Moment lang die Gedanken der Kleinen unter Kontrolle, um sicherzugehen, dass ihr Magen nicht rebellierte, weil er mit einem Mal so gut gefüllt war. Dann richtete Jeanne Louise ihre Aufmerksamkeit auf ihr eigenes Essen und bemerkte auf ihrem Teller gleich neben dem Sandwich einen kleinen Chipsberg.
»Danke«, sagte sie leise und nahm einen Kartoffelchip in den Mund. Abermals erlebte sie eine Explosion intensivster Aromen auf der Zunge. Himmel, sie hatte völlig vergessen, wie gut diese Dinger waren. Aber vielleicht hatten sie auch seit einer Weile gar nicht mehr so gut geschmeckt, weil ihre Geschmacksnerven erlahmt waren, wie sie jetzt einsehen musste. Jetzt waren sie allerdings wieder hellwach, was sie dazu veranlasste, Paul eingehend zu betrachten. Also war er auf jeden Fall für sie ein potenzieller Lebensgefährte. Ob sie das freuen oder erschrecken sollte, wusste sie im Moment nicht so genau. Klar war nur, dass es keine Leichtigkeit werden würde, Paul für sich zu gewinnen. Vieles sprach eher dafür, dass sie ihn verlieren würde.
Als ihr auffiel, dass er sie fragend ansah, zwang sie sich, den mittlerweile aufgeweichten Kartoffelchip zu zerkauen und zu schlucken. Dann führte sie das Sandwich zum Mund.
»Nein, nein, nein«, sagte Paul in diesem Moment. Erst als sie ihren Blick auf ihn richtete, wurde ihr klar, dass er mit Livy redete. Das Mädchen hielt wieder das Fotoalbum in der Hand und näherte sich ihr. »Lass Jeanne Louise erst mal essen.«
»Aber …«, setzte Livy zum Protest an.
»Warum holst du nicht Boomer?«, ging Paul dazwischen. »Ich hatte ihn eingesperrt, solange Mrs Stuart da war, und als ich zurückgekommen bin, habe ich vergessen, ihn wieder rauszulassen. Er freut sich bestimmt schon darauf, durch den Garten zu toben.«
Sofort sprang Livy auf und lief zum Haus, während Jeanne Louise Paul fragend anschaute. »Boomer?«
»Ein Shih Tzu«, erklärte er und lächelte flüchtig. »Ich hatte ihn gleich nach Jer… nach dem Tod ihrer Mutter für Livy geholt. Da war sie gerade mal drei. Das war kurz nach dem Foto, das sie Ihnen zuletzt gezeigt hat. Als Livy dem Hund an seinem ersten Abend hier im Haus hinterherlief, rief sie immer: ›Boom, boom, boom.‹ Deshalb habe ich ihn auf den Namen Boomer getauft.«
Jeanne Louise musste grinsen, aber im nächsten Moment blieb ihr die Luft weg, da sie von einem kleinen, energiegeladenen Fellknäuel angesprungen wurde, das sie mit solcher Wucht traf, dass sie umgerissen wurde und auf dem Rücken landete. Das Fellknäuel lag auf ihr, die Pfoten ausgestreckt, und leckte mit einer rosa Zunge über Jeanne Louises Kinn.
»Er mag dich! Das hab ich gleich gewusst!«, quiekte Livy
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