Ein Vampir fuer alle Sinne
Lissianna und Greg – nur noch stärker geworden. Wiederholt hatte sich das Ganze wenig später, als Onkel Lucian verkündete, Leigh sei wieder schwanger. Das erste Kind hatte sie schon im zweiten Monat verloren, nun war sie im siebten Monat schwanger, und Mutter und Kind schienen wohlauf zu sein. Alle warteten ungeduldig auf die Geburt dieses Kindes.
Für Jeanne Louise war es bedeutungslos, ob sie Livys leibliche Mutter war oder nicht, sie würde sie wie ihr eigenes Kind großziehen – was bedauerlicherweise kaum mehr als eine Absichtserklärung darstellte, denn in Wahrheit hatte sie so gut wie keine Ahnung, was es hieß, eine Mutter zu sein. Was sie bei Lissianna und Greg hatte beobachten können, war nicht sehr hilfreich gewesen.
Aber dann fiel Jeanne Louise ein, das Livy in etwa so alt war wie Lucy, ebenfalls ein hübsches blondes Mädchen. Beide könnten gemeinsam lernen, wie man Blut trinkt, sie würden sicherlich die gleiche Klasse besuchen, und vielleicht wurden die zwei ja sogar beste Freundinnen. Der Gedanke an ein glückliches Zuhause mit Paul und Livy begann in ihrem Kopf Gestalt anzunehmen, als sie auf einmal ein Geräusch hörte, das sie veranlasste, die Augen aufzumachen. Paul stand vor ihr und sah sie finster an.
»Ich glaube, ich habe das Recht auf eine Erklärung«, sagte er und ließ mit seinem kühlen Tonfall Jeanne Louises Traum vom schönen Zuhause wie eine Seifenblase platzen.
4
Langsam setzte sich Jeanne Louise auf und stellte eine unbeeindruckte Miene zur Schau, doch ihre Nerven flatterten mit einem Mal. Paul war besorgt, nur dass sich seine Sorge als Verärgerung äußerte. Er war besorgt, weil er nicht verstand, was sie getan hatte.
»Die Nanos machen es uns möglich, die Schmerzrezeptoren einer Person zu blockieren oder denjenigen in den Schlaf zu schicken. Ich nehme an, das war früher mal notwendig, um die Jagd nach Blut zu unterstützen«, antwortete sie und redete weiter, bevor er etwas anmerken konnte. »Auf diese Weise verspürt ein Opfer keinen Schmerz, wenn es gebissen wird, und wenn wir das Opfer einschlafen lassen, merkt es auch nichts. Ich habe das genutzt, um Livys Schmerzen erträglicher zu machen.«
»Sie haben den Schmerz blockiert und sie dann einschlafen lassen?«, wiederholte er bedächtig, als wollte er sich vergewissern, dass er sich nicht verhört hatte.
Jeanne Louise nickte.
»Und wie geht das?«, wollte er wissen.
Zwar wusste sie, dass sie in den Verstand ihres Gegenübers eindringen musste, aber mehr als das war ihr eigentlich selbst nicht klar. Es war ein instinktiver Akt. Allerdings war das auch nicht weiter wichtig, weil sie es für keine gute Idee hielt, wenn sie zugab, dass sie in der Lage war, den Verstand anderer Leute zu kontrollieren. Schließlich antwortete sie mit einer Halbwahrheit. »Wie das genau abläuft, kann ich Ihnen nicht sagen. Es ist etwas Instinktives. Ich weiß nur, dass ich die betreffende Person dabei sehen muss. Bei manchen von ihnen ist sogar ein körperlicher Kontakt notwendig.«
Paul ließ sich das alles durch den Kopf gehen und fragte: »Und dass sie ein ganzes Sandwich gegessen hat?«
Wieder zögerte sie, weil sie wusste, dass er hören wollte, ob sie damit auch etwas zu tun hatte. Wenn sie das bejahte, bestätigte sie automatisch, dass sie in der Lage war, andere Leute zu manipulieren, und das konnte sie zumindest zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht zugeben. Also sagte sie nur: »Sie ist offensichtlich sehr krank. Vielleicht wirkt sich das auf ihr Geschmacksempfinden aus, so wie das ja bei einer Grippe auch der Fall ist. Wenn man krank ist, schmeckt nichts so, wie man es gewöhnt ist. Ich würde es bei ihr mit vielen verschiedenen Gerichten versuchen.«
Paul entspannte sich sichtlich und nickte, da er eine plausible Erklärung vorgesetzt bekommen hatte. »Ich werde ihr jeden Tag Käse-Schinken-Sandwiches schmieren, wenn ich weiß, dass sie dann überhaupt etwas isst. Sie hat in so kurzer Zeit so viel Gewicht verloren.«
Jeanne Louise schwieg zwar, wünschte sich jedoch, sie könnte seinen Kummer ein wenig lindern. Tiefe Sorgenfalten hatten sich in sein Gesicht eingegraben, von denen sie vermutete, dass sie vor Livys Erkrankung nicht existiert hatten. Sie konnte seine Ängste natürlich mildern, indem sie ihm vorschlug, ihn zu wandeln, damit er dann seinerseits Livy wandeln konnte. Aber falls er nicht ihr Lebensgefährte sein wollte, riskierte sie, den Rest ihres Lebens allein zu verbringen. Auf einen Sterblichen mochte
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