Ein Vampir fuer alle Sinne
es egoistisch wirken, das Bedürfnis nach einem Lebensgefährten über das Leben eines Kindes zu stellen, aber jedem Unsterblichen wurde von Kindheit an eingebläut, in Sachen Gefühle auf Distanz zu Sterblichen zu bleiben. Jeder Unsterbliche traf im Verlauf seines langen Lebens auf Hunderte von Sterblichen, die er leiden konnte, die ihm etwas bedeuteten oder die er in einem gewissen Maß sogar liebte, aber Unsterbliche konnten schlichtweg nicht jeden retten. Sie durften nur einen einzigen Sterblichen wandeln, und die Aussicht darauf, über Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende hinweg allein bleiben zu müssen, war schlichtweg unerträglich.
Trotz allem fühlte sich Jeanne Louise versucht, ihm dieses Angebot zu machen. Aber sie zwang sich, den Gedanken daran in den Hintergrund zu drängen, und fragte stattdessen: »Kann man ihr nichts gegen diese Schmerzen geben?«
Paul schüttelte den Kopf und rieb sich mit einer Hand den Nacken. »Sie hat vom stärksten Mittel die höchste Dosis erhalten, die man bei ihrem Alter und ihrer Größe verabreichen darf, aber es zeigt keinerlei Wirkung mehr. Die nächste Stufe wäre die, sie im Krankenhaus auf Dauer unter Betäubung zu setzen, aber …«
Aber er wollte nicht, dass sie in einem Krankenzimmer im Koma zwischengelagert wurde, bis sie starb, führte Jeanne Louise seinen Satz in Gedanken zu Ende, als er nicht weiterredete. Er wollte seine Tochter retten, koste es, was es wolle.
»Ich glaube, ich sollte Sie jetzt wieder nach drinnen bringen. Ich will nicht, dass Livy allein im Haus ist, wenn sie schläft und plötzlich aufwacht«, wechselte er abrupt das Thema.
Jeanne Louise packte die Überreste des Picknicks ein. Dabei wanderte ihr Blick zu Paul, als der sich hinkniete, um ihr dabei behilflich zu sein. Als alles weggepackt war und sie auch die Decke zusammengefaltet hatte, die über ihre Fußfesseln gebreitet war, stellte sie sich hin und wartete, bis er die Kette gelöst hatte, die sie am Weglaufen hindern sollte. Sie trug die Decken, er den Korb und das eine Ende der Kette, was auf Jeanne Louise ein wenig so wirkte, als wäre sie ein Hund, der an der Leine zurück ins Haus geführt wurde. Es ärgerte sie, doch sie atmete mehrmals tief durch, bis sie sich wieder beruhigt hatte.
Diese Situation war ausgesprochen schwierig, aber mit Wut und Verärgerung würde sie jetzt auch nichts erreichen. Es war eine andere Art der Leidenschaft, die sie in diesem Moment brauchte.
»Finden Sie nicht, ich sollte etwas näher bei Livy sein?«, fragte sie, nachdem sie das Haus betreten hatten und er auf die Kellertür zuging. Als er sie daraufhin verwundert ansah, erklärte sie: »Wenn sie vor Schmerzen aufwacht, kann ich ihr helfen.«
Paul zögerte und schaute unschlüssig drein. Er hatte Bedenken, sie könne doch noch die Flucht ergreifen, und solange er nicht begreifen konnte, dass sie das nicht machen würde, sah er in ihr seine Gefangene. Aber er musste sie als seine Verbündete wahrnehmen, wenn sie eine Chance haben wollte, ihn dazu zu bringen, dass er mit ihr schlief.
»Ich weiß nicht, ob …«, begann er bedauernd.
»Und wenn ich Ihnen verspreche, dass ich das Haus nicht verlassen werde?«, unterbrach sie ihn.
Jetzt schien er hin und her gerissen. Ihm war anzumerken, dass er ihr glauben wollte, es letztlich jedoch nicht konnte. Also begann er den Kopf zu schütteln und setzte zum Reden an. Er kam jedoch gar nicht erst dazu, die Weigerung auszusprechen, die ihm auf der Zunge lag, weil Jeanne Louise ihn nicht gewähren ließ. Stattdessen ließ sie die Decken fallen, riss ihm mit einer Hand die Kette aus den Fingern und zog mit der anderen fast gleichzeitig die Betäubungspistole aus seiner Hosentasche, lange bevor er auch nur auf die Idee kommen konnte, danach zu greifen. Jeanne Louise dachte gar nicht darüber nach, was sie da eigentlich mit dieser Pistole machte, die sie in beiden Händen hielt. Nur einen Moment später hatte sie den Lauf so herausgebrochen, dass die Waffe für nichts mehr zu gebrauchen war.
Sie ließ die beiden Teile vor sich auf den Boden fallen, dann machte sie einen Schritt nach hinten, um auf Abstand zu Paul zu gehen. Es brachte nichts, wenn er Angst vor ihr bekam oder sich von ihr bedroht fühlte.
»Jesus, ich wusste ja, dass ihr Unsterblichen schneller seid als wir, aber … verdammt, Sie haben sich so wahnsinnig schnell bewegt, dass ich nur noch Schemen sehen konnte«, sagte er tief beeindruckt.
Mit ruhiger Stimme erwiderte sie. »Das Gleiche
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