Ein Vampir für gewisse Stunden: Argeneau Vampir 6
gebracht.... zugegeben, es war eine Portion Hundefutter gewesen, doch mittlerweile war sie zu der Ansicht gelangt, dass er nicht oft etwas aß und wohl tatsächlich nicht wusste, was sich in dieser Konservendose befand.
„Ja, aufmerksam und fürsorglich”, bestätigte sie und überlegte, was sie sonst noch über ihn wusste.
Sie wusste, es störte ihn nicht, in aberwitzigen Aufmachungen wie ein Idiot dazustehen, also konnte er wohl nicht eitel sein. Er wirkte wortgewandt, sofern er Mal ein paar Worte sprach, und er neigte allem Anschein nach zu Griesgrämigkeit.
Vermutlich war das nur eine Art Schutzschild, um zu verhindern, dass andere Menschen ihm zu nahe kamen. Sie wusste selbst nur zu gut, wie das funktionierte, denn als sie auf der Flucht gewesen war, hatte sie auch eine Maske aufsetzen müssen, um Abstand zu allen zu wahren. Sie war ständig auf der Hut gewesen, und sie hatte sich scheinbar kühl und zickig verhalten, auch wenn das gar nicht ihre Art war. Die Angst hatte sie dazu getrieben, weshalb sie sich jetzt fragte, welchen Grund Lucian für ein solches Verhalten haben mochte.
Aber sie stellte diese Überlegungen zunächst einmal zurück und überlegte, was sie sonst noch sagen konnte. Das Einzige, was ihr in den Sinn kommen wollte, war die Tatsache, dass er halb nackt verdammt gut aussah. „Halb nackt?”, fragte Marguerite interessiert.
Leigh schreckte hoch. Hatte sie das etwa laut gesagt? Es war eine schlechte Angewohnheit, denn üblicherweise bekam niemand etwas davon mit, wenn sie leise vor sich hin murmelte. Aber so wie Lucian war Marguerite eine Unsterbliche mit exzellentem Gehör. „Leigh?”, rief Marguerite, nachdem gut eine Minute lang betretenes Schweigen geherrscht hatte.
.Ja?”
Marguerite zögerte kurz. „Mag sein, dass er mürrisch und schlecht gelaunt wirkt, trotzdem ist er ein guter Mann. Mein Ehemann, also sein Zwillingsbruder, sagte immer, vor dem Tod seiner Frau und seiner zwei kleinen Kinder sei Lucian stets gut gelaunt und fröhlich gewesen. Ich glaube, mit seiner mürrischen Art will er nur jeden von sich fernhalten.”
Genau das hatte Leigh gerade eben auch über ihn gedacht, nur war ihr da noch nichts über seine Frau bekannt gewesen. „Seine Frau und seine Kinder?”, wiederholte sie ahnungslos.
„Ja”, bestätigte Marguerite leise. „Es liegt sehr lange zurück. Noch bevor ich seinen Bruder geheiratet habe.”
Leigh dachte darüber nach und fragte: „Warum erzählen Sie mir das?”
„Weil er Sie nicht lesen kann”, lautete die ebenso einfache wie unverständliche Antwort.
„Was heißt das?”
„Ich weiß”, seufzte die Frau am anderen Ende der Leitung. „Es gibt so vieles, was Sie noch über uns lernen müssen. Mehr, als ich Ihnen am Telefon erklären könnte. Aber keine Sorge, ich werde das in die Hand nehmen. Ich rufe meine Tochter an, die wird Ihnen helfen, alles zu verstehen. So ist es vermutlich ohnehin besser. Lucian hat sowieso keine Ahnung davon, was wir Frauen für wichtig und wissenswert halten.”
„Okay”, erklärte sich Leigh leise einverstanden.
„Nach unserem Gespräch werde ich sofort bei ihr anrufen. Aber für den Moment sollen Sie wissen, dass Sie in Sicherheit sind und dass alles gut ausgehen wird. Haben Sie das verstanden, meine Liebe?”
„Ja”, erwiderte Leigh. „Vielen Dank.”
„Gut, dann lege ich jetzt auf und rufe Rachel an. Die wird in Kürze bei Ihnen vorbeischauen. Sie sollten für sie einen Kaffee aufsetzen, sie ist richtiggehend verrückt nach Kaffee.”
„Okay”, murmelte Leigh.
„Willkommen in der Familie, Leigh”, sagte Marguerite, und während Leigh noch über diese Worte nachdachte, hatte sie bereits aufgelegt.
Einen Moment später legte Leigh ebenfalls den Hörer auf, dann stand sie da, ohne zu wissen, was sie tun sollte. Lucian hatte ihr gesagt, sie solle sich Kleidung aus dem Schrank nehmen. Es hatte ihr jedoch noch nie behagt, die Kleidungsstücke anderer Leute ohne deren Wissen zu tragen, weshalb sie auch den Bademantel angezogen hatte, der an der Badezimmertür hing. Jetzt aber fand sie, dass sie Rachel lieber nicht im Bademantel empfangen wollte. Andererseits würde es erst so richtig peinlich werden, wenn sie sich hier ausgerechnet bei Rachels Kleidung bediente. Sie verzog den Mund, lief zum Schrank und öffnete ihn, um schließlich erleichtert festzustellen, dass sich darin nur Herrenbekleidung befand. Lieber zog sie ein paar von Lucians Sachen an, auch wenn sie darin verloren ging, weil
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