Ein Vampir ist nicht genug - Roman
die Seele des armen Charlie es getan hatte. Der Großteil flog in die Nacht hinaus. Aber etwas blieb zurück, schwebte in meine silbrig-rote Essenz hinein und blieb dort, wartete mit mir, wurde ein Teil von mir.
Ein goldenes Licht, strahlend wie das eines Meteors und warm wie ein Paar plüschige Slipper, verließ seinen Platz in der flackernden Ecke der Küche und umgab mich, verschwamm, und nahm menschliche Gestalt an.
Männlich menschliche Gestalt. Er hätte einer von Davids Jungs sein können, so aufrecht und militärisch war seine Haltung. Doch er war sanft wie ein Liebhaber, als er meinen Körper umdrehte, so dass meine blicklosen Augen auf seine gerichtet waren. Er kreuzte meine Hände über meinem Bauch und richtete meinen verdrehten Nacken. Dann beugte er sich vor und presste seine Lippen auf meine, hauchte seinen Atem in meinen Mund. Anschließend ließ er sich auf die Fersen zurücksinken.
»Was willst du, Jasmine?«
Er beobachtete, wie mein Mund sich öffnete, und hörte mich sagen: »Kämpfen.« Mit einem zufriedenen Nicken legte er die Fingerspitzen in mein Genick, beugte sich vor und schenkte mir noch einen letzten Atemzug.
21
I ch habe schon einige seltsame Momente erlebt. Einmal war ich mit Großmama May unterwegs, um Weihnachtseinkäufe zu machen. In einem Geschäft war ich gerade damit beschäftigt, die ausgestellten Kerzen zu mustern und mir zu überlegen, ob ich mir von Großmama fünfundzwanzig Cent für Kaugummi erbetteln könnte, als die Kerzen plötzlich alle aufflammten. Ich sah mich um und entdeckte einen Jungen in meinem Alter, der sie mit einer schnellen Kopfbewegung wieder erlöschen ließ. Das war sicher ein kreativer Weg, um Mädchen kennenzulernen, und ich hoffe, dass es letztendlich funktioniert hat.
Bei der Bearbeitung eines Falls musste ich mich mit einem Zirkel von Hexen zusammentun, die so wütend auf unsere Zielperson wurden, dass sie ihn verflucht haben. Noch bevor ich ihn eliminieren konnte, stolperte er über einen Bordstein und brach sich den Knöchel, aß einen verdorbenen Hamburger und verbrachte die Nacht kotzend im Krankenhaus, fand heraus, dass seine Frau mit seinem Chef schlief, und brach sich einen Schneidezahn ab, als ein betrunkener Kellner zu sorglos mit einem Champagnerkorken umging und ihn in sein Gesicht schoss. Ich denke, er war am Ende wahrscheinlich sogar dankbar, als er von einem waschechten Klavier erschlagen wurde.
Ich hatte es schon mit Medien zu tun gehabt und mit Schlangenbeschwörern, mit Serienmördern und mit Ge
nies. Aber keine andere Erfahrung konnte es auch nur annähernd damit aufnehmen, wie es war, meine eigene Wiedergeburt zu beobachten. In meiner Vorstellung waren Auferstehungen immer stille, heilige Ereignisse gewesen. Doch jetzt dachte ich, dass Lazarus vielleicht ebenso geschrien hatte wie mein holographisches Ich, als meine Seele in meinen Körper zurückstürzte und Teile, die nie hätten gebrochen werden dürfen, gewaltsam repariert wurden.
Mein erster, keuchender Atemzug schien ein Echo von Vayls nächtlichem Erwachen zu sein, und ich zitterte, als ich es beobachtete. Das Wesen, das mich zurückgeholt hatte, musterte mich mit einem komischen Ausdruck in den Augen, einer Mischung aus Stolz und Bedauern, die es uralt wirken ließ. Als ich meine Augen öffnete, war es verschwunden.
Vollkommen verwirrt versuchte ich, mich zu konzentrieren. Meine ersten Bewegungen waren so unkoordiniert, dass ich eher wirkte wie ein Kleinkind und weniger wie eine professionelle Vampirjägerin. Mit viel Mühe schaffte ich es, mich auf Hände und Knie zu erheben, und in diesem Moment entdeckte ich Matt. Die Seele hinter meinen Augen zerbrach wie misshandeltes Porzellan.
Cassandra berührte die Glaskugel, und das Bild verblasste, als mein wahrer Zusammenbruch begann. Ich erinnerte mich jetzt wieder an alles. Die Klageschreie, das Weinen, wie ich durch das vergossene Blut meines Teams gekrochen war und um Hilfe gerufen hatte. Wie ich den Verstand verloren hatte. Ich warf ihr einen dankbaren Blick zu, da sie mir die Erniedrigung ersparte, zumindest diesen Teil meines Weges durch die Hölle vor Publikum wieder durchleben zu müssen.
»Es tut mir so unendlich leid«, sagte sie und wischte sich
die Tränen ab, die über ihre Wangen liefen. Sie versuchte vergeblich, mir in die Augen zu sehen. Vielleicht dachte sie, dass ich vorhatte, den Boten zu bestrafen. Und ja, okay, dieser Gedanke war mir gekommen. Ganz flüchtig.
»Ich bin nicht wütend, Cassandra«,
Weitere Kostenlose Bücher