Ein Vampir ist nicht genug - Roman
verzichten kann.
Das hatte nichts mit Gedankenlesen zu tun. Ich wusste einfach irgendwie, dass er das dachte.
»Oh.« Ich trank mein Bier aus, ging in mein Schlafzimmer und schloss die Tür hinter mir. Dann vergrub ich das Gesicht in den Kissen und brach in Tränen aus.
Irgendwann später spürte ich Vayl neben mir. Das Bett gab leicht nach, als er sich setzte.
»Geht es dir gut?«
»Hervorragend.« Ich rollte mich herum, um ihn anzuschauen und damit er mein Lächeln sehen konnte. »Unser Auftrag hat sich in einen bioterroristischen Alptraum verwandelt. Ich wäre heute Nacht fast gestorben. Mein Boss hat mich fünf Minuten lang angeschrien, ohne dabei nur einmal Luft zu holen, und zwischendrin habe ich sechs Stunden lang auf einen Computerbildschirm gestarrt. Ich glaube, von der ganzen Strahlung könnte ich Krebs kriegen. Und ich fühle mich so gut wie schon lange nicht mehr. Ganz schön verdreht, was?«
Vayl strich mir mit dem Zeigefinger eine Strähne von der Wange, was seltsamerweise ein Kribbeln in meiner Magengrube auslöste. »Einzigartig«, korrigierte er mich. »Was bei dir auch nicht anders zu erwarten war, wie ich inzwischen weiß.«
Ganz selten einmal haben sehr zugeknöpfte Leute diesen Blick, der es einem erlaubt, sie alles zu fragen. Wenn man ihn erkennt, muss man bereit sein. Sobald seine sanften braunen Augen sich leicht verengten, so dass sich in den Augenwinkeln feine Fältchen bildeten, ergriff ich meine Chance. »Vayl, du hast mir nie wirklich erklärt, warum du ausgerechnet mit mir arbeiten willst.«
»Habe ich nicht?«
»Nö. Versteh mich nicht falsch, ich habe es genossen. Und ich hoffe, ich kann den Rest meiner Laufbahn mit dir arbeiten. Aber, weißt du, ich zerbreche mir jetzt seit einem halben Jahr den Kopf darüber, und mir ist noch nicht eine plausible Erklärung eingefallen, warum ein Vampir, der seit fast drei Jahrhunderten unterwegs ist, eine Assistentin brauchen sollte. Pete hat sich bei dem Punkt gewunden
wie eine durchgedrehte Boa Constrictor. Also … warum ich?«
Es dauerte eine Weile, bis er antwortete; er schüttelte hin und wieder leicht den Kopf, als würde er gedanklich verschiedene Gründe durchgehen und sie alle wieder verwerfen. Schließlich sagte er: »Nach dem, was dir letzten November passiert ist, hätten sich die meisten Menschen einfach hingelegt und wären gestorben.« Ich starrte ihn an, bereit, aufzustehen und zu gehen, sobald er den wunden Punkt berührte, von dem mein Schmerz ausging. »Aber du nicht. Du hast überlebt, und das mit Gaben, die gerade erst anfangen in Erscheinung zu treten. Ich habe gespürt, dass du jemanden brauchst, der dir dabei hilft, diese Gaben zu entwickeln.«
»Und?«
»Du hast Recht, das ist nicht alles. Aber ich muss dich um Geduld bitten. Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, werden wir es beide wissen.«
Völlig durchgeknallt. »Okay«, grummelte ich. Plötzlich brauchte ich meine Karten. Ich nahm sie vom Nachttisch, wobei mein Blick die Uhr streifte. »Bald ist Sonnenaufgang«, stellte ich fest. »Soll ich dir helfen, das Zelt aufzubauen?«
Vayl schlief nie in einem Sarg. Jetzt, wo ich von seinen Phobien wusste, vermutete ich, dass er wohl das große Zittern kriegen würde, wenn er in einem liegen müsste. Ich habe keine Ahnung, welche Schlafarrangements er trifft, wenn er zu Hause ist. Zur Hölle, ich weiß ja noch nicht einmal, wo er wohnt. Aber wenn wir auf Reisen sind, hat er immer ein speziell angefertigtes Zelt dabei, das sein gesamtes Bett überdeckt. Es besteht aus lichtundurchlässigem Material, so dass er nicht anfängt zu kokeln, wenn jemand aus Versehen einen Vorhang öffnet
oder so. Ich hätte selbst gerne so eins gehabt, einfach weil das Kind in mir es total toll finden würde, wie Camping, aber ohne die Insekten.
»Nein«, winkte Vayl ab, »ich komme schon zurecht. Außerdem bist du doch bestimmt müde.«
Sobald er es aussprach, fiel es mir schwer, die Augen offen zu halten. »Na gut«, murmelte ich und ließ mich in meine pinkfarbenen Samtkissen sinken. Ich spürte, wie er mir die Karten aus der Hand nahm. Und hörte ihn flüstern: »Gute Nacht, meine avhar .« Aber ich war so müde, dass ich glaubte, er hätte das Ganze auf Rumänisch gesagt, und so machte ich mir keine Gedanken darüber.
6
M anchmal dringen reale Geräusche bis in die Träume vor. Ich habe einmal ein Nickerchen auf der Couch gemacht und geträumt, ich würde Steven Tyler interviewen. Dann bin ich aufgewacht, und da war er auf
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