Ein Vampir ist nicht genug - Roman
erbebte. Plötzlich entstand vor meinem geistigen Auge das Bild einer liliana-förmigen Einbuchtung auf der anderen Seite, und ich lachte auf. Das brachte mir einen weiteren Schrei und eine Reihe von Angriffen auf die geschlossene Tür ein. Ich drehte mich zum Schrank um und zu der Treppe, die dahinter verborgen war.
Hastig riss ich die Tür auf und rannte die kalten Betonstufen hinauf, zwei auf einmal nehmend. Am oberen Ende war noch eine Tür, aus starkem Metall, mit einem Quergriff, der mich an den Eingang zur Turnhalle in meiner alten Schule erinnerte. Ich warf mich ohne abzubremsen dagegen. Eine Millisekunde lang dachte ich, sie sei verschlossen, und sah mich schon von dem Griff abprallen und die Stufen hinunterpurzeln wie ein Vogel, der im dritten Stock gegen ein Fenster fliegt. Doch die Tür ließ sich problemlos öffnen und führte mich hinaus auf das erstaunlichste Dach, das ich jemals gesehen hatte.
Mein erster, flüchtiger Eindruck war, dass ich gerade ins Land der Feen geplatzt war. In den Topfpflanzen und Gittern, die das Dach in viele kleine Nischen unterteilten, waren weiße Lichter befestigt worden. Das Geräusch von fließendem Wasser bildete eine Untermalung zu meinem keuchenden Atem. Es roch nach Frühling, doch meine Zehen zogen sich in der kalten Nachtluft zusammen, und auf meinen Armen bildete die Gänsehaut ein kleines Gebirge.
Meine hastige Suche wurde mit einer steinernen Bank belohnt, deren Sitzfläche nicht fest mit den Beinen verbunden war. Ich schleppte die Platte zur Tür und klemmte sie unter den Griff, so dass dieser nicht mehr heruntergedrückt werden konnte. Das würde Liliana vielleicht lange genug aufhalten, damit ich davonkommen konnte.
Ich musste das Dach überqueren und rannte so schnell wie möglich an den Gartennischen vorbei. Dabei wich ich Tischen und Bänken aus, auf denen die Leute nach Ende der Kaltfront sitzen und ihren Morgenkaffee genießen würden.
Lilianas Kraft hing an meinen Fersen wie ein angeketteter Pitbull. Es erinnerte mich an die Szene bei Umbertos , und ich wollte ganz bestimmt nicht der nächste arme Tropf sein, der in einen Teller Linguine fiel. Ich rannte durch Lauben voller Schlingpflanzen. Ich schob mich an Engelsstatuen vorbei, an Windspielen, an einem leeren Vogelbad, das einsam und verlassen wirkte. Ich hatte es ungefähr halb über das Dach geschafft, als Lilianas Kraft anstieg und ein plötzlicher Knall mich stoppte.
Lilianas Stimme drang wie ein Düsentriebwerk durch die Stille. »Ich werde dich nicht einfach töten!«, kreischte sie. »Ich werde dir die Brust aufreißen und dein Blut direkt aus deinem schlagenden Herzen trinken!«
»Das ist einfach nur widerlich, Liliana. Hat deine arme tote Mama dir denn keine Manieren beigebracht?«
Ich stahl mich in eine andere Abteilung des Gartens, als sie meine Stimme ortete. Hoffentlich konnte ich dieses Katz-und-Maus-Spiel lange genug aufrechterhalten, um die Doppelgängerin der Tür zu finden, die sie gerade zerstört hatte. Dann würde ich noch ein bisschen weiterlaufen. Beim Gedanken daran wollte ich etwas kaputtschlagen.
Natürlich konnte ich sie auch stellen, sie vielleicht sogar in Rauch auflösen, falls sie nicht zu schnell oder zu stark war. Falls ich korrekt zielte. Aber mir wurde klar, dass ich sie zwar töten wollte, es aber nicht konnte. Vayl sollte derjenige sein, der sie erledigte.
Ich fand die Tür, umgeben von Hängekörben, und
drückte sanft auf den Griff. Nichts geschah. Sie war verschlossen. Okay, Jaz, jetzt sitzt du mit einem mordlustigen Vampir auf dem Dach eines achtstöckigen Gebäudes fest. Zeit für Plan B.
Lilianas Kraft legte sich um mich wie dicker Nebel. Während ich hindurchwatete, brach mir der Schweiß aus, doch irgendwie gelang es mir, ohne ein Geräusch die Feuerleiter zu erreichen. Als ich nach dem Geländer griff, um meinen Abstieg zu beginnen, entdeckte ich, dass Lilianas Limousine unter einer der Straßenlaternen parkte. Ich konnte nur das Auto sehen, aber ich glaubte nicht, dass sie ihre Schläger nach Hause geschickt hatte. Kuschelten sie sich bei aufgedrehter Heizung im Wagen zusammen und versuchten immer noch, die Wärme wiederzuerlangen, die Vayl ihnen vorhin entzogen hatte? Bewachten sie meine Fluchtwege und warteten nur darauf, mich zu packen, sobald ich dachte, ich sei frei? Warum hatte Liliana sie nicht mit raufgebracht? Das schien fast … fair zu sein.
Nein, nicht fair - selbstbewusst. Sie war sich einfach sicher, dass eine mickrige Frau nicht
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