Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein Vampir ist nicht genug - Roman

Titel: Ein Vampir ist nicht genug - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Rardin Charlotte Lungstrass
Vom Netzwerk:
Boris fertig geworden war. Gut. »Wir fahren gerade an der Notaufnahme vor. Wir sehen uns dann wahrscheinlich in ein bis zwei Stunden.«
    »Klingt gut. Fahr vorsichtig.«
    Er seufzte, da er wusste, was ich in Wirklichkeit meinte, nämlich: »Pass gut auf meinen Mercedes auf.«
    Wir beendeten das Gespräch, und ich verbrachte den Rest der Fahrt damit, mich zu fragen, was für eine Welt sich mir gerade eröffnet hatte. Anscheinend hatten meine
Sinne, oder zumindest zwei von ihnen, ein Riesen-Upgrade erhalten. Ich konnte ein völlig neues Lichtspektrum wahrnehmen. Und ich konnte größere Schwankungen im Gesundheitszustand der Menschen spüren. Wenn ich es jetzt noch schaffte, Gedanken zu lesen, würde ich eine super Zirkusattraktion abgeben.
    Das Taxi setzte mich am Star One Resort ab, einem mehrstöckigen Apartmentkomplex direkt am Strand. Die meisten Wohnungen dort wurden im Time-Share-Verfahren vermietet. Sollte ich in den Gemeinschaftsräumen oder im Aufzug also jemandem begegnen, würde sich niemand über die Anwesenheit einer Fremden wundern.
    Das Schloss an der Wohnungstür wirkte einschüchternd. Ein in Metall eingefasstes Zahlenfeld mit einer digitalen Anzeige verwehrte jedem den Zugang, der nicht die richtigen Fingerabdrücke mitbrachte. Was bei mir nicht der Fall war. Ich drückte meinen Daumen auf das kleine Sensorfeld neben der Klinke. Die Zylinder des Schlosses drehten sich, und ich stolperte hinein, woraufhin die Tür hinter mir zufiel.
    Dieses Zimmer sah wesentlich besser aus als das Bonbonbordell. Die Wände waren cremeweiß gestrichen. Evie hätte der Farbe einen romantischeren Namen gegeben, Elfenbeinpastell vielleicht. Die schokoladenbraunen Möbel waren samtweich, und der dunkelgoldene Teppich passte perfekt zu den Bourbonenlilien auf den weinroten Vorhängen. Als ich diese aufzog, entdeckte ich einen kleinen Balkon, der auf den Ozean hinausging. Schöner Ausblick, wenn man die Zeit hatte, um ihn zu genießen.
    Ich zog Stiefel und Strümpfe aus und ließ mich auf die Couch fallen, wobei ich mir fest vornahm, auch noch den
passenden Sessel und die Ottomane auszuprobieren, bevor ich wieder ging. Und vielleicht, ja, vielleicht würde ich auch noch den Garten inspizieren, wenn wir bei Sonnenaufgang noch hier wären. Er befand sich auf dem Dach, und es gab einen direkten Zugang vom Schlafzimmer aus, versteckt hinter einer Schranktür. Dieser zusätzliche Fluchtweg hatte uns dazu bewogen, das Apartment zu kaufen.
    Warum bis Sonnenaufgang warten? Ich ruhe mich hier eine Minute aus, dann sehe ich mir den Garten an. Ich schloss die Augen und atmete tief den Duft von Apfel-Zimt-Duftsteckern ein, der die recycelte (und perfekt temperierte) Luft schwängerte.
    Ich gebe es zu. Ich habe es verbockt. Ich hätte wach bleiben, ein wenig Brainstorming machen, das Rätsel lösen und mir einen kleinen Snack holen sollen. Stattdessen schrie mein übermüdeter Körper: »Pause!«, und das gesamte System verfiel in den Ruhemodus.
    Jedes Mal, wenn ich schlafe, habe ich lebhafte Träume. Sogar kurze Nickerchen gestalten sich bei mir wie Werbespots beim Super Bowl. Diesmal träumte ich von Großmama May, aber nicht so, wie ich mich an sie erinnerte, in verwaschenen Jeans und einem ausgeleierten Pullover, der noch zusätzlich zum Kuscheln einlud. Sondern so, wie ich sie mir vorstellte, mit Flügeln und einem Heiligenschein, wie sie sich mit Opa Lew amüsierte, der, da war ich mir sicher, an der goldenen Pforte mit einer Schüssel Popcorn und einem Frank-Sinatra-Film auf sie gewartet hatte.
    Wir plauderten wie zwei Friseusen, und sie sagte eine Menge Dinge, an die ich mich später nicht erinnern konnte, obwohl ich wusste, dass sie wichtig gewesen waren. Woran ich mich allerdings erinnere, ist ein Gefühl von tiefer,
umfassender Zufriedenheit, das man im Laufe seines Lebens schnell verliert, meist ungefähr im Alter von sechs. Plötzlich bekam ihr Gesicht einen Ausdruck, den ich gut kannte, jedoch nicht von ihr. Nun ähnelte sie Mom, wenn ich von ihr die Worte zu hören bekam: »Für immer gestrandet!«
    Die Zufriedenheit löste sich auf, und ich spürte ein vertrautes Prickeln in meinen Fingern und Zehen.
    »Es ist noch nicht Zeit für dich«, keifte Großmama May. »Wach auf!«
    Ich öffnete die Augen. Ich stand auf. Ich war kurz davor, zu salutieren. Wahrscheinlich stimmt es, dass alte Gewohnheiten nur schwer totzukriegen sind. Genau wie alte Agenten. Sobald ich erkannte, dass ich den magischen Alarm nicht geträumt hatte,

Weitere Kostenlose Bücher