Ein verboterner Kuss
plauderte heiter, obwohl er ihr an den Augen ansah, wie verzweifelt sie war. Wenn sie so tapfer sein konnte, dann sollte ihm das auch gelingen. Er warf ihr einen gespielt fragenden Blick zu. „Den Schlossherrn herauskehren?“
„Ja, Sie wissen schon, mit diesem kalten, grausamen Blick, den Sie so gut beherrschen. Einem Blick, der dem armen Mr Netterton keine andere Wahl lässt, als sofort mit Ihnen zu kommen, weil ihn sonst ein grausames Schicksal ereilt.“ „Ach, den Blick meinen Sie.“ Seine Augen verengten sich zu Schlitzen.
„Genau, das ist er“, lobte sie. „Absolut Furcht einflößend.“ Er bot ihr den Arm, und sie hakte sich bei ihm unter. Sie sah ihn aus tränenfeuchten blauen Augen lächelnd an, und er hätte sie am liebsten in seine Arme gerissen und mit Versprechen getröstet, die er nicht halten konnte.
„Nun, irgendein Spektakel brauchen wir schließlich, nachdem Abdul alle so schrecklich enttäuscht hat“, fuhr sie in heiterem Plauderton fort.
„Er hat - was? Inwiefern?“
„Indem er nicht erschienen ist. Mr Netterton glaubt, dass alle zum Gottesdienst erschienen sind, um den neuen Vikar in Augenschein zu nehmen, und was die Adeligen betrifft, so stimmt das wahrscheinlich auch. Die Dorfbewohner jedoch haben noch nie einen echten Türken gesehen.“
„Echte Türken gehen für gewöhnlich nicht zu anglikanischen Gottesdiensten.“
„Unsinn, das hier ist England, hier gehen viele Menschen nicht in die Kirche. Trotzdem sind sie heute gekommen in der Hoffnung, Abdul zu sehen. Abgesehen davon, vor den Osmanen war Konstantinopel das Herz der katholischen Kirche. Da ist anzunehmen, dass es dort noch ein paar Christen gibt.“
„Nicht Abdul. Ich glaube sogar, er hängt gar keiner bestimmten Glaubensrichtung an. Und Türke ist er eigentlich auch nicht direkt. Seine Mutter war die Tochter einer tscherkessischen Sklavin, sein Vater Ägypter mit griechischen Wurzeln. Je weiter man Abduls Stammbaum zurückverfolgt, desto komplizierter wird es. Er selbst sagt, er wäre ein echter Osmane - er würde jedes Land des Osmanischen Reichs repräsentieren.“
Dominic wollte Miss Pettifer seinen anderen Arm bieten, aber sie unterhielt sich gerade angeregt mit Granny Wigmore. Er wartete einen Augenblick, doch das Gespräch schien noch eine Weile zu dauern. Daher beschloss er, mit Grace ein wenig über den Friedhof zu schlendern. Er drückte ihren Arm an sich und legte seine Hand über ihre, und wie immer tröstete ihn ihre Nähe.
Ein paar Minuten lang gingen sie schweigend nebeneinander her, und allmählich ließ seine Verzweiflung nach. Er spürte, wie auch von Grace die Anspannung abfiel. „Schrecklich, wie sie den armen Frey korrigieren wollten, nicht wahr?“ Sie antwortete nicht, und er legte kurz den Arm um sie. „Mach dir nicht so viele Sorgen, Grace. Alles wird gut, das verspreche ich dir.“ Diese Geschichte musste einfach ein gutes Ende nehmen. Nach einer Weile fragte er: „Woher weißt du nur all diese Dinge? Zum Beispiel, dass alle Abdul angaffen wollten? Du bist genauso lange hier wie ich, und ich habe keine Ahnung, was in den Köpfen der Dorfbewohner vorgeht.“
„Das ist ein Geheimnis. Manche nennen es eine Gabe“, erwiderte sie gespielt rätselhaft.
„Ach ja?“, gab er trocken zurück.
Sie lächelte. „In den letzten Tagen habe ich den Überblick darüber verloren, wie viele Dorfbewohner mich gefragt haben, ob es stimmt, dass Seine Lordschaft einen echten Türken im Schloss hat. Es scheint, die Leute hier haben ein weit zurückreichendes Gedächtnis.“
„Viel zu weit“, stimmte er inbrünstig zu. „Aber, was zum Teufel, hat das mit Abdul zu tun? Er ist doch gerade erst hier eingetroffen.“
Sie sah ihn an, und es ging ihm zu Herzen, wie tapfer sie sich bemühte, ihn aufzuheitern. „Nun, zuerst sprach man darüber, wie sehr du deinen Vorfahren ähnelst. Von großer Bedeutung im kollektiven Dorfgedächtnis ist ein gewisser Sir Simon Wolfe, der an der Seite von Richard Löwenherz während der Kreuzzüge gekämpft hat und zum ersten Lord D Acre ernannt wurde.“
Er schnaubte, weil er die Erinnerungen an seine Vorfahren langsam gründlich leid war. „Und?“
Diesmal war ihr Lächeln vollkommen echt. „Sir Simon hat einen echten Türken als Gefangenen mitgebracht. Die Dorfbewohner sind begeistert, dass du diese Tradition fortführst.“
„Um Himmels willen!“, rief er empört aus.
Sie lachte, und seine Stimmung hob sich. Plötzlich fühlte er sich viel
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