Ein verboterner Kuss
heimelig werden zu lassen. Es war eine ganz eigenartige Reaktion gewesen, eine sehr starke, als hasste er die Vorstellung von einem Zuhause ...
Wie konnte jemand nur so denken?
Grace hatte im Grunde nie ein eigenes Zuhause gehabt. Dereham Court, wo sie die ersten zehn Jahre ihres Lebens verbracht hatte, war das Hoheitsgebiet ihres Großvaters gewesen, und sie hatte den Besitz nie als ein Heim empfunden. Ein Zuhause war ein Ort, wo man sich sicher und geborgen fühlte. Sie hatte sich in Dereham Court nie sicher gefühlt.
Danach hatte Grace entweder bei Großonkel Oswald und Tante Gussie oder bei einer ihrer verheirateten Schwestern gewohnt, wenn sie nicht auf dem Pensionat war. Doch obwohl sie an all diesen Orten geborgen und glücklich gewesen war, hatten sie nie wirklich ihr gehört.
Nachdem sie in Ägypten gewesen war und die Pyramiden und die Sphinx gesehen hatte, wollte sie sich ein Zuhause schaffen, eins, das ihr ganz allein gehörte und das sie so einrichten konnte, wie es ihr gefiel.
Sie nagte an ihrer Unterlippe. Ihr wurde klar, dass sie genau das hier tat. Zuhause spielen, so wie sie es als kleines Kind schon gemacht hatte. Er war zu Recht verärgert. Schließlich war es nicht ihr Haus.
Dennoch war es ein Ort, der zum Träumen einlud, mit seinen fantastischen, verschiedenen Stilrichtungen, mit seinem Märchentürmchen, den gewölbten gotischen Fenstern, den mit Schnitzereien versehenen Deckentäfelungen und seinem Wasserspeier ...
Sie hob den Kopf und betrachtete den Wasserspeier, der mit seinem weisen Gesicht zu ihr hinuntersah. Ihn hatte sie mit als Erstes von seinem Schmutz erlöst. Er war jetzt frei von Staub und Spinnweben und hatte eine gründliche Behandlung mit Öl bekommen, das das uralte, trockene Holz durstig aufgesogen hatte.
Sie lächelte zu ihm hinauf und fühlte sich plötzlich ihrer Sache sicherer. „Es ist mir gleich, ob dieses Haus für ihn ein Heim werden soll oder nicht - aber du möchtest das, nicht wahr? Und das Haus möchte es auch.“ Sie nickte. „Für dich werden wir es also so schön machen, wie es einem Menschen möglich ist. Und dann wird es tatsächlich ein Ort zum Träumen sein ...“
Dominic nahm die Abkürzung durch den Wald zur Straße nach Ludlow. Er genoss den Schatten, denn er wusste, auf der Straße würde es staubig und heiß werden.
Er war ganz in Gedanken versunken, als plötzlich ein Hund vor ihm über den Pfad rannte. Ein weißer Hund mit braunen Flecken. Sheba.
Er hatte sie in Wolfestone Castle in Billy Finns Obhut zurückgelassen, der sie eigentlich baden sollte. Was, zum Teufel, hatte Sheba hier draußen zu suchen? Sie konnte alles Mögliche anstellen - Hühner töten oder Schafe jagen. Dort, wo Landwirtschaft betrieben wurde, sollten Hunde nicht frei herumlaufen.
Er erreichte die Stelle, an der sie über den Pfad gelaufen war. Ein kaum zu erkennender schmaler Weg führte zwischen den Bäumen hindurch. Dominic rief ein paar Mal nach ihr. Nichts. Er pfiff. Nichts. Er bog mit seinem Pferd in den Weg ein. Schon wenig später standen die Bäume nicht mehr so dicht, und Dominic sah das Ufer eines Teichs, einen Jungen und seine Hündin. Sie war schmutzig von oben bis unten.
„Was, zum Teufel, machst du ...“
Billy Finn drehte sich um, wurde kreidebleich, ließ das fallen, was er in der Hand gehabt hatte und rannte davon. Sheba wollte ihm folgen, aber Dominic rief sie zurück.
„Halt, Billy, warte! “ Doch der Junge war bereits verschwunden. Das Kind hatte ausgesehen, als hätte es Todesangst gehabt. Aus dem Augenwinkel nahm Dominic eine Bewegung am Ufer war, und er sah nach, was der Junge fallen gelassen hatte.
Einen Fisch. Eine Angelschnur und ein Haken lagen daneben.
Dominic sah auf den Fisch und dann in die Richtung, in die der Junge gerannt war. Der Gesichtsausdruck des Kindes hatte ihn zutiefst erschüttert. Das war nackte Angst gewesen.
Er zog seine Taschenuhr heraus und klappte den Deckel auf. Er hatte noch reichlich Zeit, diesem kleinen Geheimnis auf die Spur zu kommen und danach nach Ludlow zu reiten. Er hob den Fisch und die Angelschnur auf, pfiff Sheba herbei und schwang sich wieder aufs Pferd. „Such Billy!“, befahl er ihr und zeigte dorthin, wo der Junge verschwunden war. Mit dem Schwanz wedelnd nahm Sheba die Fährte auf, und Dominic folgte ihr zu Pferd.
Es dauerte nicht lang, bis er auf eine verfallene Hütte auf einer Lichtung stieß. Sheba sprang fröhlich voraus - sie war eindeutig schon einmal hier gewesen. Dominic
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