Ein verboterner Kuss
und, was haben wir hier, ach, nur London“, meinte er enttäuscht.
Aber auch die Post und die Mittagspause nahmen nicht ewig Zeit in Anspruch, dann hieß es wieder den Besitz weiter zu besichtigen.
Es war schon fast dunkel, als Dominic müde nach Wolfestone zurückritt. Er hatte noch nicht einmal die Hälfte des Besitzes gesehen, und schon jetzt schwirrte ihm der Kopf vor Berichten, Namen und Gesichtem, vor Leuten, die ihn angelächelt, seine Hand berührt und ihn willkommen geheißen hatten. Unerträglich.
Unerträglich, weil er zwar darauf vorbereitet war, als der Erbe von Wolfestone angesehen zu werden, aber nicht darauf, dass sich noch so viele an seine Mutter erinnerten, ihn mit aufrichtiger Freundlichkeit nach ihr fragten und Trauer und Mitgefühl wegen ihres Todes vor so vielen Jahren zum Ausdruck brachten.
Er hatte nie seinen Kummer mit irgendjemandem geteilt, nur in Briefen an ein paar wenige Freunde hatte er ihren Tod erwähnt. Keiner von ihnen hatte sie gekannt.
Und nun, in einem Land fern von dem, in dem sie gestorben war, an einem Ort, an dem er sie so unglücklich gewähnt und den er zu hassen gelernt hatte - da musste er feststellen, dass ihr Leben gefeiert worden war, wahrhaftig gefeiert auf eine bescheidene, herzergreifende Art.
Kinder waren nach ihr benannt worden, man erinnerte sich an ihre freundlichen Gesten, und ihrem Sohn erzählte man Geschichten von ihr. Ihr Tod ging den Leuten noch so nah, als hätte erst an diesem Tag die Beerdigung stattgefunden.
Dominic hatte diese Besichtigungsrunde nicht gewollt. Er hatte sich auf Feindseligkeit, Habgier und Forderungen gefasst gemacht. Auf Freundlichkeit, Mitgefühl... und das überwältigende Gefühl der Dazugehörigkeit war er nicht vorbereitet gewesen.
Es zerriss ihn innerlich.
Er überließ Hex einem Stallburschen, sah flüchtig nach dem Fohlen und betrat das Schloss durch einen Seiteneingang. Ihm war nicht nach Gesellschaft.
Er war gerade ein halbes Dutzend Schritte gegangen, da kam sie um die Ecke geeilt, beladen mit irgendwelchen Stoffballen. Er blieb wie angewurzelt stehen und sah sie an. Er erstarrte. Dennoch versuchte er, sich nichts von seinen Gefühlen anmerken zu lassen und zu verbergen, wie sehr er am Ende war.
Grace nahm mit einem Blick die Anspannung seines Körpers, die zusammengepressten Lippen und die geballten Fäuste wahr. Alles an ihm verriet ihr, dass er momentan keine Gesellschaft wünschte. Sie wollte schon kehrtmachen und gehen, als sie seine Augen sah. Goldbraun. Schmerzgeplagt. Verwundet.
Das verbannte jeden anderen Gedanken aus ihrem Kopf. Sie stieß einen erstickten Laut aus, ließ den Stoff fallen, rannte auf ihn zu und fiel ihm um den Hals.
Wortlos schlang er die Arme um sie. Er konnte nicht sprechen, nichts tun, nur sie in den Armen halten. Schweigend und wortlos kämpfte er gegen seinen lange verdrängten und frisch wieder aufgewühlten Schmerz an.
Grace sagte ebenfalls nichts. Sie umarmte den kleinen Jungen, der von allem, was er kannte und liebte getrennt worden war, den Jüngling, der seitdem ein Getriebener ohne Ziel geworden war. Den Mann, der nirgendwo hingehört hatte.
Bis zu diesem Tag.
„Es tut mir leid“, murmelte er. „Ich bin nur ..."
Sie küsste ihn auf das Kinn, auf den Mund. Er erwiderte ihren Kuss mit verzweifelter Leidenschaft. Plötzlich hob er sie hoch, trug sie in den kleinen Salon, ohne den Kuss zu unterbrechen, und trat die Tür mit dem Fuß zu.
Während er sie fest an sich gedrückt hielt, ließ er sich halb sitzend, halb liegend mit ihr auf einem langen Sofa nieder. Immer noch sagte er kein Wort, sondern barg nur schwer atmend das Gesicht an ihrem Hals. Grace hielt ihn fest, strich ihm über das Haar, seinen Nacken und die Schultern. Sie konnte seine große, warme Hand spüren, mit der er sie hielt, streichelte und liebkoste, gleichzeitig Trost suchend und spendend.
Die Zeit verging, Grace verlor jegliches Gefühl dafür. Es reichte ihr, einfach nur mit ihm zusammen zu sein, zu spüren, wie die Wärme seines Körpers in ihren überging. Und es reichte ihr, seine starken Arme um sich zu wissen.
Freys Enthüllungen über Dominics Leben hatten ihr das Herz gebrochen. Dieser Mann, dieser große, starke und ungewöhnliche Mann war den Großteil seines Lebens einsam gewesen. So weit sie verstanden hatte, musste er sich schon als Kind um seine zerbrechliche Mutter gekümmert haben. Dann war der junge Dominic plötzlich in ein anderes Land gebracht worden. In der Schule war er
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