Ein verboterner Kuss
sich, dass die Fetzen fliegen, danach werden sie Freunde. So etwas kommt andauernd vor.“
„Dann muss ich Ihnen das wohl glauben“, erwiderte Grace. „Jedenfalls waren wir danach unzertrennlich. Wir unternahmen alles zusammen - Schule, Spiele, Streiche ... Wir hätten sogar die Ferien miteinander verbracht, wenn man uns das erlaubt hätte.“ Sein Lächeln erstarb. „Üble Geschichte.“ „Inwiefern?“
Ihm war offensichtlich etwas unbehaglich. „Ich weiß nicht, ob er möchte, dass ich darüber spreche.“
„Das ist doch alles längst Vergangenheit - was macht es da noch aus?“, versuchte Grace ihn zu überreden. Sie wollte alles über Dominic wissen. „Außerdem verrate ich kein Sterbenswort davon.“
Mr Netterton dachte eine Weile nach und nickte dann. „Die Sache ist, sein Vater hatte ihn nach England und nach Eton geholt. Jahrelang wusste er gar nichts von dem Jungen, doch irgendjemand hatte ihn und seine Mutter aufgespürt. Nun ja, Dom ist das Ebenbild seines Vaters, daher bestand kein Zweifel an seiner Abstammung. Sobald der alte Mann ihn gefunden hatte, wollte er ihn zu dem erziehen, was er einst sein würde - der Erbe von Wolfestone und Träger des Titels, all so etwas eben. Doms Mutter war in ... Ägypten, glaube ich. Zu weit weg, um sie in den Ferien besuchen zu können - allerdings hätte ihm sein Vater das ohnehin nicht erlaubt. Sobald er Dom in seinen Klauen hatte, durfte er England nicht mehr verlassen. Er hielt ihn die ganze Zeit äußerst knapp bei Kasse. Er war der ärmste Junge in Eton - oder hätte es zumindest sein müssen. Dom hat dieses unglaubliche Talent, aus allem Geld zu machen - ganz erstaunlich!“ Er grübelte kurz darüber nach. „Wo war ich stehen geblieben?“
„Bei den Ferien.“
„Ach ja. Nun, meine Eltern wären glücklich gewesen, wenn Dom die Ferien bei uns verbracht hätte. Dann wäre es für uns beide nicht so langweilig gewesen. Mein Vater schrieb an Lord D Acre und bat ihn um seine Erlaubnis.“ Er verzog das Gesicht. „Doms Vater lehnte ab. Dom schrieb ihm selbst und bat ihn ebenfalls darum. Aber er sagte jedes Mal Nein.“
„Ich nehme an, er wollte, dass Dominic die Ferien mit ihm verbrachte.“
Mr Netterton schüttelte den Kopf. „Keineswegs. Dom hat seinen Vater nur zweimal im Leben gesehen, und dann verbrachte er nie länger als eine Stunde in seiner Gesellschaft.“ „Wie bitte? Auch nicht in den Ferien?“
„Nein. Er ordnete an, dass Dom die Schule überhaupt nicht verlassen durfte. Niemals. Ich glaube, der alte Mann hatte Angst, Dominic könnte versuchen auszureißen - und damit lag er gar nicht einmal so falsch.“
„War er denn nicht glücklich in der Schule?“
„Nein, das war nicht der Grund. Er war krank vor Sorge um seine Mutter. Seit er nach England gekommen war, hatte er nichts mehr von ihr gehört. Und wissen Sie auch, warum?“ Seine Stimme wurde lauter vor Empörung. „Sein Vater hatte alle ihre Briefe zurückgehalten. Dom hat das irgendwann vom Anwalt seines Vaters erfahren, dem alten Podmore. Der Mann vertrat zwar seinen Vater, schien aber eine Schwäche für die Mutter zu haben. Außerdem glaubte er, dass der alte Lord DAcre dem Jungen Unrecht tat.“
„Das glaube ich allerdings auch!“ Grace war außer sich bei dem Gedanken, wie der junge Dominic in eine Schule in einem für ihn auch fremden Land eingesperrt worden war - und nicht einmal die Briefe seiner Mutter hatte bekommen dürfen.
„Die Schule hatte Anweisung, die Briefe seiner Mutter an den Anwalt weiterzuschicken, und der Anwalt hatte Anweisung, sie schließlich zu vernichten, was er auch tat.“
Grace war entsetzt. „Die Briefe seiner Mutter vernichten! Wie kann man nur so grausam sein?“
Mr Netterton zwinkerte ihr zu. „Ein schlauer alter Fuchs, dieser Podmore. Er fertigte erst Kopien von den Briefen an, ehe er die Originale wie befohlen verbrannte. Die Kopien schickte er mit seinem Absender an Dom. Schließlich hatte die Schule ja nicht den Auftrag, Briefe vom Rechtsanwalt seines Vaters abzufangen.“
Grace klatschte in die Hände. „Was für ein wunderbarer Mann!“
„Ich glaube, er hat Dom davor bewahrt, den Verstand zu verlieren. Verständlich, denn ein Junge, der sich in seinen ersten zwölf Lebensjahren um seine Mutter gekümmert hat, verlässt sie nicht einfach von einem Tag auf den anderen, nur weil irgendein Vater, den er nie kennengelernt hat, das von ihm verlangt!“ Er stieß einen verächtlichen Laut aus.
„Sein Vater muss ein
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