Ein verführerischer Akt
Schulter zu. »Danke, Miss! Genießen Sie Ihren Urlaub!«
Stöhnend stopfte Rebecca Fahrkarte und Fahrplan in ihr Retikül, nahm ihren Umhang und verließ das Schlafzimmer. Statt den Haupteingang zu benutzen, ging sie die Hintertreppe hinunter, die zur Gartentür führte, und von dort zu den Stallungen. Sie ließ einen kleinen Wagen anspannen, den sie selbst kutschieren konnte, bat einen Stallburschen, sie bis zum Bahnhof zu begleiten und das Gespann anschließend wieder zurückzubringen.
»Wollen Sie nicht auf Ihre Zofe warten, Miss Rebecca?«
Sie schüttelte den Kopf und setzte ihr freundlichstes Lächeln auf. »Ich habe ihr freigegeben und fahre alleine zu Großtante Rianette in den Lake District.«
Sie fuhr so schnell an, dass der Knecht neben ihr sich angstvoll an den Sitz klammerte. Als sie auf die Straße einbogen, wo noch die Kutsche wartete, rief sie unter dem Verdeck mit bewusst lauter Stimme: »He, Hewett, ich habe mich entschlossen, selbst zu fahren. Ich bin schon spät dran!«
Während der Kutscher winkte und auf den Bock stieg, sah sie, dass die Vorhänge sich bewegten – ein Zeichen, dass der Ganove sie gesehen hatte. Sie ließ ihr Pferd schneller traben und machte sich nicht die Mühe zurückzuschauen, was der Mann jetzt unternahm. Sie durfte keine Zeit verlieren, sondern musste ihn so schnell wie möglich von Madingley House und ihrer Familie weglocken.
Es war Julian nicht entgangen, dass Rebecca den Empfang von Lady Thurlow verließ, und er folgte ihrer Kutsche zu Pferd. Wenn sie glaubte, ohne sein Wissen die Stadt verlassen zu können, irrte sie. Beim Haus des Dukes angekommen nutzte er die Gelegenheit, sich ein wenig umzuschauen, band sein Pferd auf der Straße an und ging an der Gartenmauer entlang bis zur rückwärtigen Gasse, zählte die Fenster im ersten Stock, um sich ein Bild von der Anzahl der Schlafzimmer zu machen.
Was er mit solch einer Information anfangen würde, war ihm selbst schleierhaft. Sich vielleicht unter der Nase der verwitweten Mutter des gegenwärtigen Dukes oder von Lady Rose Leland in Rebeccas Schlafzimmer stehlen? Eigentlich ging es ihm nur darum, Informationen über die geplante Reise zu bekommen.
Als er noch darüber nachdachte, wie er das anstellen könnte, sah er Rebecca im Umhang durch den Garten zu den Stallungen eilen. Er machte sich nicht die Mühe, nach ihr zu rufen, sondern lief rasch zur hinteren Gasse, schlich sich an der Gartenmauer entlang, wo die Zufahrt zu den Stallungen sein musste. Er hatte das Gefühl, ewig dafür zu brauchen. Madingley House gehörte bestimmt zu den größten Wohnsitzen Londons.
Ehe er jedoch an dem großen Tor ankam, fuhr eine leichte Kutsche heraus, und unter dem Verdeck sah er Rebecca mit entschlossener Miene auf dem Kutschbock sitzen, während neben ihr ein Stallbursche mit weit aufgerissenen Augen hockte. Sie fuhr an Julian vorbei, ohne ihn überhaupt zu bemerken, und er hastete wieder zu der Stelle zurück, wo sein Pferd wartete.
Als er endlich das Gefährt im dichten Londoner Verkehr eingeholt hatte, kam er sich mittlerweile wie ein Narr vor. Wollte er ihr etwa Tag und Nacht folgen?
Aber irgendwie hatte er ein komisches Gefühl bei der ganzen Sache. Beim Haupteingang stand wartend eine Kutsche, und sie fuhr mit einem Cabriolet davon. Warum? Er glaubte keine Sekunde lang, dass sie ihn mit der Erwähnung einer Reise an der Nase herumführen wollte. Nein, vermutlich verfolgte sie einen Plan.
Er fühlte sich in seiner Vermutung bestätigt, als sie vor der Euston Railway Station anhielt, deren mächtige Säulen ein Gewölbe im griechischen Stil trugen. Sie sprang von ihrem Gefährt, ohne sich von ihrem Burschen helfen zu lassen, und es war ihr scheinbar gleichgültig, dass sie dabei mehr von ihren schlanken Fesseln sehen ließ, als schicklich war. Sie eilte zum Eingang, wo sie sich forschend noch einmal umblickte. Und ihn sah. Julian, der inzwischen vom Pferd gestiegen war, grüßte mit einer eleganten Armbewegung und lächelte sie an, doch Rebecca erbleichte und rannte förmlich in den Bahnhof hinein.
Sein ungutes Gefühl verstärkte sich. Irgendetwas war hier nicht in Ordnung. Ganz und gar nicht. Stirnrunzelnd schnappte er sich den Stallburschen von Madingley House, der sich gerade anschickte, nach den Zügeln zu greifen.
»He, du da«, sagte Julian und war ausnahmsweise einmal froh über seinen Titel. »Ich bin der Earl of Parkhurst. Du musst mein Pferd zu meinem Stadthaus am Berkeley Square zurückbringen.« Er gab
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