Ein verführerischer Akt
Stationen vor Birmingham lag. Die Seymours verabschiedeten sich, denn hier wollten sie aussteigen.
Danach saßen Rebecca und Julian alleine im Abteil. Sie wartete darauf, dass er ihr Vorwürfe machte oder sie vielleicht wegen ihrer Possen auslachte, doch er blickte nur konzentriert aus dem Fenster und behielt den Bahnsteig im Auge.
Sie sah in die gleiche Richtung, erspähte die beiden Verfolger und stieß ein leises Stöhnen aus.
»Halten Sie sich bereit«, sagte er ruhig.
Rebecca war mit einem Schlag hellwach. »Was haben Sie vor? Der Schaffner hat schon gepfiffen, wir fahren gleich los.«
Er nickte, zog das Fenster herunter und lehnte sich hinaus. Rauch drang ins Abteil, und sie musste einen Hustenreiz unterdrücken und mit den Augen, die heftig zu brennen begannen, zwinkern.
»Machen Sie das Fenster wieder zu, bevor wir erstickt sind?«
Er reagierte nicht, schaute noch eine Weile durch das offene Fenster, bis der Zug Fahrt aufzunehmen begann: »Unsere Freunde sind wieder in ihren Waggon gestiegen. Sie können uns nicht sehen. Auf geht’s.«
Sie stöhnte, als sie seinen Plan erkannte. Trotzdem streckte sie die Hand mutig nach dem Türgriff aus, um den Schlag zum Bahnsteig hin zu öffnen.
»Nicht die. Wir wollen doch nicht, dass alle sehen, dass wir aussteigen, oder?«
Er öffnete die Tür auf der anderen Seite, rechts vom Gleis.
»Aber … da ist kein Bahnsteig!«, rief sie. »Wir werden zu schnell.«
Er hatte die Tür geöffnet und stand bereits draußen auf der untersten Stufe. Er streckte die Hand nach ihr aus. »Wir müssen springen – jetzt!«
Kapitel 7
Rebecca hatte das Gefühl zu fliegen. Es war kein sonderlich tiefer Sturz, doch immerhin verstärkte der fahrende Zug die Fliehkraft. Sie taumelte und landete auf dem Bauch, rollte dann noch ein Stück weiter, verfing sich dabei in ihrem Umhang und riss ihn sich keuchend vom Gesicht. Julian, der sich geschickt abgefangen hatte und auf den Füßen geblieben war, zog sie hoch und zerrte sie hinter sich her zu einem Verschlag zwischen den Gleisen, um sich dort vor neugierigen Blicken aus dem Zug zu verstecken.
Schwer atmend und mit pochendem Herzen stand sie mit geschlossenen Augen da, während der Zug davonfuhr. Sie hatte das Gefühl, am ganzen Körper zu beben, und der böige Wind zerrte an ihren Röcken. Sie klammerte sich immer noch an Julians Hand und hatte auch nicht die Absicht, ihn loszulassen. Als das Rattern des sich entfernenden Zuges leiser wurde, öffnete sie vorsichtig die Augen, argwöhnisch das Nebengleis beobachtend, ob dort ein entgegenkommender Zug in Sicht war.
Julian stieß ein leises Lachen aus. »Ein Glück, dass ich mich vorher vergewissert habe, dass kein Gegenzug zu erwarten war. Sonst hätten wir leicht unter die Räder kommen können.«
Sie entriss ihm ihre Hand.
Seine Belustigung schwand, und er musterte sie von oben bis unten. »Haben Sie sich verletzt? Da ist ein Kratzer im Gesicht.«
Sanft berührte er ihre Wange, doch sie drehte sich zur Seite. Ihr Umhang war über einer Schulter nach hinten gerutscht, und entsetzt stellte sie fest, dass der dünne Stoff ihres gelben Seidenkleids an mehreren Stellen gerissen und schmutzig geworden war. Die Haare hingen ihr wirr um den Kopf, der Hut lag zerdrückt auf dem Boden. Verdrossen zog sie ihren Umhang zusammen, und ihr entging nicht, dass ihr Begleiter kein bisschen derangiert aussah.
»Es geht mir gut«, sagte sie, um gleich darauf heftig zu husten, denn in der Luft hing immer noch die Rauchwolke der Lokomotive. Rebecca setzte sich in Bewegung, um von den Gleisen wegzukommen.
»Warten Sie.«
Er hatte einen Tonfall angeschlagen, der keinen Widerspruch duldete – ganz offensichtlich war der Earl of Parkhurst es nicht nur gewohnt, Befehle zu erteilen, sondern er setzte ebenso voraus, dass sie befolgt wurden. Mürrisch wartete sie, während er um die Ecke des Verschlags lugte, ob wirklich keine Gefahr mehr bestand.
»Sehen Sie die beiden?«, fragte sie.
»Nein. Ich bin mir eigentlich auch ganz sicher, dass sie nicht aus dem Zug gestiegen sind.«
»Nun, sie gehen bestimmt davon aus, dass wir ebenfalls noch drin sind«, meinte sie trocken. »Aber wir hätten unter die Räder stürzen können«, fügte sie hinzu.
»Nein, der Zug fuhr nur ganz langsam. Da konnte nichts passieren.«
Sie sahen einander an, und einen Moment lang fragte sie sich, ob ihr wirklich nichts passieren würde. Aber für solche Bedenken war es jetzt zu spät. Sie fuhr sich mit den Fingern durchs
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