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Ein verführerischer Akt

Ein verführerischer Akt

Titel: Ein verführerischer Akt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gayle Callen
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vertrauen.
    »Dann suchen wir jetzt also nach einem Gasthaus? In der näheren Umgebung eines Bahnhofs wird es ja wohl eines geben.«
    »Wir können nicht da absteigen, wo man uns eventuell sucht. Nicht in einem guten Haus. Außerdem dürfen wir unsere Namen nicht preisgeben, unseren Stand erst recht nicht.«
    Sie bedachte ihn mit einem ironischen Blick. »In meinem gegenwärtigen derangierten Zustand wird mir das nicht weiter schwerfallen.«
    Er rieb sich das Kinn. »Stimmt, Sie sehen wie ein Straßenmädchen aus, das ein schönes Kleid im Müll gefunden hat.«
    Sie unterdrückte den Drang, ihm eine Ohrfeige zu verpassen. »Hat Ihnen noch nie jemand gesagt, dass es ganz schlechter Stil ist, eine Dame zu beleidigen?«
    »Ich wollte Sie nicht beleidigen – ich stelle einfach nur eine Tatsache fest.« Er sah an sich herunter. »Mit meiner Kleidung wird es schon problematischer, mich unters Volk zu mischen.«
    »Ja, wirklich schade, dass wir kein Gepäck dabeihaben«, meinte sie trocken und mit in die Hüften gestützten Händen. »Na gut, dann wollen wir ein Gasthaus ausfindig machen, ehe unsere speziellen Freunde wiederauftauchen. Sind Sie jemals hier gewesen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Wenn es nur so einfach wäre. Aber da wir noch ein oder zwei Stunden Tageslicht haben, gehen wir einfach los und suchen nach dem ältesten Teil der Stadt. Dort können wir dann nach einer Unterkunft fragen. Das ist besser, als es hier zu tun, wo sich die Bahnangestellten vielleicht an uns erinnern.«
    Sie grinste. »Sehr durchdacht, Mylord … ich meine Julian.«
    Sie gingen durch die verwinkelten Straßen einer ihnen unbekannten Stadt, deren mittelalterliche Fachwerkhäuser sich eng aneinanderdrängten. In die schmalen Gassen fiel kaum Licht. Sie stiegen leicht bergauf, wo sie die Türme einer alten Kirche sahen. Die wenigen Passanten musterten die Fremden argwöhnisch, obwohl sie ihre Kleidung den einfachen Leuten angepasst hatten. Julian ging ohne Krawatte und Weste, den Rock über der Schulter, die einst glänzend polierten Stiefel mit Schmutz beschmiert, und Rebeccas ohnehin durch den Sturz in Mitleidenschaft gezogenes Kleid hatte er am Saum zusätzlich eingerissen.
    Trotzdem gelang es nicht wirklich, die anerzogene vornehme Anmut, die stolze Haltung abzulegen, selbst dann nicht, als die Straßen immer enger und schmutziger, die Häuser immer schiefer und ärmlicher wurden. Obwohl ihr der Ernst ihrer Situation voll bewusst war, begann Rebecca sie mehr und mehr als Abenteuer zu betrachten, schaute sich interessiert um und nahm so viel sie konnte von der Umgebung auf. Und prägte sich dabei den Weg ein, den sie nahmen. Für alle Fälle, denn man konnte ja nicht wissen.
    Schließlich waren sie so weit vom Bahnhof entfernt, dass er es für ungefährlich hielt, in einer Schänke nach dem nächsten Gasthof zu fragen. In einem ländlichen Dialekt, den er gut beherrschte und der etwaiges Misstrauen im Keim zerstreute. Überdies sorgte seine Ehrfurcht gebietende Größe dafür, dass er schnell eine zuverlässige Auskunft bekam, ohne dass man ihn anpöbelte.
    Als er wieder auf die dämmrige Straße trat, schaute Rebecca mit widerwilligem Respekt zu ihm auf. »Das war gar nicht mal schlecht«, meinte sie leise. »Und ich hatte gedacht, ich sei die Einzige, die die Redeweise der Dienstboten nachmachen kann.«
    »Das Talent wird uns noch nützlich sein«, erwiderte er. »Hier entlang.«
    Sie gingen nebeneinander her, und er musterte sie eindringlich. »Wo haben Sie gelernt, wie die Dienstboten zu reden?«
    Sie zuckte die Achseln. »Wenn Sie ein wenig über mich in Erfahrung gebracht hätten, wüssten Sie, dass ich als Kind häufig krank war. Was viel Zeit und Langeweile mit sich bringt. Ich las mir selbst laut vor und veränderte dabei meine Stimme entsprechend den Personen, deren Rolle ich gerade übernahm. Ein Spiel, mit dem mein Bruder und ich uns häufig die Zeit vertrieben. Wir wurden sehr gut darin. Und Sie?«
    Sie wirkte so lebhaft, dass man sie sich kaum blass und krank vorstellen konnte. Er sah wieder nach vorne und erblickte einen Mann, der sich bei ihrem Kommen von einer Kiste aufrappelte. Julian runzelte die Stirn, und der Mann sank prompt wieder zurück, zog die Schultern hoch und ließ sie unbehelligt passieren.
    »Mundarten sind mir so zugefallen«, erklärte Julian, »wahrscheinlich weil ich mehr Zeit mit den Dienstboten verbrachte als mit sonst wem.«
    Er spürte ihre Neugier, sah aber nicht die Notwendigkeit, weitere

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