Ein verführerischer Akt
Erklärungen abzugeben.
»Sie haben eine große Familie«, meinte sie, »das hat mir zumindest meine Mutter erzählt. Eigentlich sollte man meinen, dass die den größten Teil Ihrer Zeit in Anspruch nimmt.«
»Gleich müssten wir beim Gasthof sein«, lenkte er ab. Sie musterte ihn weiter neugierig, stellte aber keine weiteren Fragen mehr.
An der nächsten Straßenecke erreichten sie ihr Ziel. »The White Hare« stand auf einem Schild, das an der Hauswand hing, das Gasthaus »Zum weißen Hasen«. Durch einen Torbogen gelangte man zum Stallbereich, wo mehrere nicht mehr fahrtüchtige Kutschen im Gras herumstanden. Der Stall selbst war unverschlossen und leer, denn es gab offensichtlich keine Mietpferde mehr.
»Haben Sie Anteile an Eisenbahnlinien?«, fragte sie leise.
Er sah sie mit gerunzelter Stirn an. »Sie haben mitbekommen, wie ich mich mit Mr Seymour darüber unterhalten habe. Warum fragen Sie?«
»Wegen der Bahn ist aus kleinen Orten das geworden, was wir hier sehen.«
Er nickte. Heutzutage reiste keiner mehr mit der Kutsche, sodass auch niemand mehr Poststationen benötigte.
»Aber wie lange hätten wir mit einer Kutsche gebraucht, um herzukommen?«, entgegnete er.
»Ich habe ja nicht gesagt, dass es keine Vorteile gibt. Ich reise gerne mit dem Zug. Irgendwann möchte ich einmal so weit nach Norden fahren, wie es geht, um auch Schottland kennenzulernen.«
Sie redete sich beinahe in Begeisterung, verstummte jedoch, als sie die triste Wirtsstube betraten. Der Fußboden war schmutzig, in den Borden an den Wänden stand nichts mehr. Niemand hielt sich im Raum auf außer einem jungen Mann, der hinter dem Tresen auf einem Schemel hockte und sie gelangweilt anschaute. Er sah kaum auf, als Julian sich ins Gästebuch eintrug.
Rebecca schaute ihm über die Schulter und las, was er schrieb: »Mr und Mrs Bacon«. Sie zog nur eine Augenbraue hoch und wandte sich ab.
Er merkte, dass es sie nicht weiter zu stören schien, hier als seine Ehefrau ausgegeben zu werden. Seine Lenden zogen sich bei dem Gedanken zusammen.
Ein müde schlurfendes Mädchen zeigte ihnen ihr Zimmer und entzündete ein Feuer auf dem Kohlengitter. Es schlug die Bettdecke zurück, ohne einmal aufzuschauen.
»Wir hätten gerne noch etwas zu essen«, sagte Julian und reichte ihr eine Münze für ihre Bemühungen.
Das Mädchen sah das Geld überrascht an. »Jawohl, Sir. Meine Mutter hat einen guten Hammeleintopf auf dem Herd stehen, und Pudding gibt es auch noch.« Dann sah sie ihn erstmals richtig an und machte einen schnellen Knicks.
Nachdem sie gegangen war, meinte Rebecca: »Ich nehme an, Sie haben ihr zu viel Trinkgeld gegeben. Dadurch ist sie auf Ihre Kleidung aufmerksam geworden und wird sich an uns erinnern.«
Er bedachte sie mit einem dünnen Lächeln. »Ich werde den Fehler nicht noch einmal machen.«
»Wir müssen nicht mehr lange so herumlaufen. Für ein bisschen Geld wird sie uns andere Kleidung besorgen können, sodass Ihre Großzügigkeit nicht umsonst gewesen sein wird.«
Er stand in der Mitte des Raumes und beobachtete Rebecca dabei, wie sie das Zimmer inspizierte. Sie steckte den Kopf hinter eine spanische Wand, die an einigen Stellen zerrissen war. Der Nachttopf war anscheinend dahinter versteckt, denn ihre Wangen wiesen eine zarte Röte auf, als sie sich wieder aufrichtete. Es befand sich nur ein Bett im Raum, und er war sich nicht sicher, ob es breit genug für ihn war, geschweige denn für sie beide.
Hatte sie es ebenfalls schon bemerkt?
Mit einem Ruck blieb sie am Fußende des Bettes stehen. »Lord … Nein, Julian«, begann sie zögernd und wandte sich vom Bett ab. »Ich brauche einen Augenblick für mich alleine. Würden Sie wohl im Flur warten?«
Er ging zum Abtritt bei den Stallungen, und als er ins Zimmer zurückkam, saß sie vor dem Kamin und sah nun doch etwas verunsichert aus. Sie hatte mehrere Kerzenstumpen angezündet, denn eine Lampe gab es nicht. Ihr Haar, obzwar zerzaust, schimmerte im warmen gelben Licht, und der Blick ihrer geheimnisvoll tiefen Augen ruhte unverwandt auf ihm. Sie hatte ihren Umhang abgelegt, sodass die leichte Wölbung des Diamanten unter ihrem Kleid gut zu erkennen war. Wie viel sollte er ihr erzählen? Und was sollte er als Nächstes tun?
Doch ehe er darüber nachdenken konnte, kam das Mädchen mit einem Tablett zurück, und die beiden setzten sich an den wackligen Tisch und begannen zu essen.
Sie waren beide eindeutig ausgehungert und langten trotz des ungewohnt einfachen Essens
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