Ein verführerischer Akt
… Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, ihm so etwas zuzutrauen.«
»Wie seid ihr verwandt? Ist er der Bruder deiner Mutter?«
»Nein, seine Frau, Lady Florence, ist die Schwester meines Vaters, erheblich jünger als er allerdings. Sie wuchs ziemlich privilegiert auf und hielt sich entsprechend immer für etwas Besseres. Außerdem ist sie recht melodramatisch. Dass sie Affären hatte, nicht nur eine, kann ich mir unschwer vorstellen.«
»Windebank offensichtlich nicht.«
»Harold Windebank«, murmelte er. »Ein Gentleman ohne Titel … Ich erinnere mich, wie sehr es mich überraschte, dass meine arrogante Tante damals ziemlich unter ihrem Stand geheiratet hat. Allerdings konnte sein Vermögen sich sehen lassen.«
»Vielleicht war sie ja in ihn verliebt.«
»Scheinbar nicht genug.« Sein Tonfall klang grimmig.
»Du bist dir sicher, dass sie das Collier gestohlen haben?«
»Wie sollten sie sonst in seinen Besitz gekommen sein? Wäre es Windebank ›zufällig‹ in die Hände gespielt worden, hätte er es bestimmt zurückgegeben. Schließlich kannte damals jeder die Geschichte. Und die Polizei fand nie Hinweise, dass irgendjemand gewaltsam ins Haus eingedrungen ist, um den Diebstahl zu begehen.«
»Hat dein Vater jemals die Vermutung geäußert, dass er von einem Familienmitglied bestohlen worden sein könnte?«
»Nein, er …«
Sie sah, dass Julian plötzlich aschfahl wurde.
»Julian? Was ist?«
Er räusperte sich, doch seine Stimme war immer noch heiser, als er weitersprach – und das lag nicht an den Nachwirkungen des eingeatmeten Rauches.
»Mein Vater empfand es als Schmach, dass man ihm vorwarf, das kostbare Geschenk des Maharadschas einfach verkauft zu haben. Er schien damals in ein tiefes Loch zu stürzen, interessierte sich für gar nichts mehr, nicht einmal für meinen achtzehnten Geburtstag, an dem mir eine Erbschaft zufallen würde, die uns zumindest aus der finanziellen Krise bringen und die Familie retten konnte.«
Kummer erfasste sie, als sie den Schmerz in seiner Stimme vernahm, und fast mochte sie nicht hören, was als Nächstes geschah.
»Dann starb er«, erklärte Julian ausdruckslos. »Wir veranstalteten eine Jagd während des Wochenendes, an dem mein Geburtstag gefeiert wurde. Alle waren da, auch mein Onkel.« Sein Gesicht verzerrte sich, als er die nächsten Worte sprach. »Sie fanden die Leiche meines Vaters. Er war alleine losgezogen, um einen Hirsch zu jagen, und es sah so aus, als hätte sich vielleicht ein Schuss gelöst, weil er ungeschickt über einen Zaun kletterte, vielleicht dabei den Halt verlor.«
»Es war also ein Unfall«, murmelte sie.
»Alle sagten das«, meinte er bitter. »Aber er war ein erfahrener Jäger und kannte das Gelände von Kindheit an in- und auswendig. Er hätte nie einen so dummen Fehler begangen. Ich dachte damals, dass es sich um Selbstmord handelte.«
Sie seufzte traurig. »Ach, Julian!«
»Ich habe es nie laut ausgesprochen, doch in der Gesellschaft wurde offen darüber spekuliert. Man nahm an, dass Vater sich wegen des Diamanten umgebracht hatte und weil die Familie in so schwere finanzielle Schwierigkeiten geraten war.«
Sie legte ihre Hand auf den Schmuck, der unter ihrem Kleid ruhte. Ein Fluch schien auf ihm zu liegen, denn warum sonst war er der Grund für so viel Leid und Blutvergießen.
»Ich war einfach nur wütend auf ihn, zu wütend, um zu trauern. Ich fand es feige von ihm, uns zu verlassen, statt das Familienvermögen wieder aufzubauen.« Er senkte den Kopf und rieb sich mit einer Hand über das Gesicht. »Ich dachte nur das Schlechteste von ihm, auch wenn es keinen Sinn ergab. Immerhin erbte ich, und alles hätte besser werden können. Ich verstand nicht, warum er in dieser Situation Selbstmord beging. Aber vielleicht hat er das ja gar nicht. Vielleicht wusste er damals schon, wer den Diamanten gestohlen hatte, und wurde umgebracht, um ihn zum Schweigen zu bringen. Von Onkel Harold.«
Ein neuerlicher Hustenanfall unterbrach seine Ausführungen, und sie klopfte ihm den Rücken, hielt ihn dabei weiter mit einem Arm umschlungen.
»Ich gab ihm für alles die Schuld«, meinte er schließlich mit rauer Stimme, »während ich eigentlich nach seinem Mörder hätte Ausschau halten müssen.«
»Hör auf«, sagte sie energisch. »Bist du Gott? So allwissend und allmächtig wie er, um dir alles zusammenzureimen? Warum solltest du überhaupt auf die Idee kommen, dass dein Onkel zu so etwas fähig sein könnte? Erst jetzt hast du
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