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Ein verführerischer Akt

Ein verführerischer Akt

Titel: Ein verführerischer Akt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gayle Callen
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Nächstes?«
    »Wir versuchen, diese Nacht gut zu schlafen.«
    Sie wandte den Blick ab und bemühte sich um eine entschlossene, tapfere Haltung. Sie war in ihrem ganzen Leben noch nie an solch einem Ort gewesen, aber daran konnte sogar er nichts ändern.
    »Und dann?«, fragte sie. »Ich kann mir vorstellen, dass du zu deinem Onkel willst. Sind seine Güter weit von hier entfernt?«
    »Bei unseren Geldproblemen dürfte es eine Reise von mehreren Tagen werden, doch irgendwie kommen wir schon hin.«
    »Dann wirst du endlich die Wahrheit erfahren.«
    »Und der Gerechtigkeit wird Genüge getan«, fügte er bedeutungsvoll hinzu.
    Er legte einen Arm um sie und setzte eine finstere Miene auf, als sie sich ihrer Unterkunft näherten. Ein Mann machte ihnen sogleich den Weg frei, und ein anderer zögerte nur kurz, ehe er das Gleiche tat. Im Gebäude suchten sie nach der Bettstatt, die ihnen versprochen worden war – Rebecca zog es vor zu schweigen, als sie die schmale Pritsche sah, auf der sie die Nacht verbringen sollten.
    »Zumindest müssen wir nicht auf dem Boden schlafen«, meinte sie schließlich und schenkte ihm ein dankbares Lächeln. Er war sicher, dass sie an die Ratte dachte, die sie bei ihrer Ankunft gesehen hatten.
    Obwohl er normalerweise wenig Schlaf brauchte und es gewohnt war, bis tief in die Nacht zu arbeiten, fühlte er sich heute erschöpft. Sie legten sich vollständig angezogen hin, wobei Rebecca den Platz zwischen der Wand und seinem Rücken einnahm, die Tasche zwischen ihre Füßen geklemmt.
    Sie kuschelte sich an ihn, um sich zu wärmen, doch weder sie noch er konnten wirklich schlafen, denn zu viele Geräusche schwirrten in dem großen Raum, und im Schein der Kerzen sahen sie, wie die Leute und besonders die Kinder ruhelos umhergingen. Ihre Stimmen klangen angstvoll und hoffnungslos. Das Elend, das sie hier erlebten, trübte vor allem Julians ohnehin instabile Gemütsverfassung. Er war wütend auf die Zustände insgesamt und auf die Eltern, die ihre Kinder sich selbst überließen.
    Rebecca spürte diese neuerliche Anspannung und wollte ihn besänftigen.
    »Julian?«, murmelte sie.
    Er schaute über die Schulter.
    »Stimmt irgendetwas nicht?«
    Im trüben Licht sah sie den Anflug eines schiefen Lächelns.
    »Was sollte denn nicht in Ordnung sein?«
    »Keine Ironie bitte, Mylord.« Sie kuschelte sich enger an ihn und schlang den Arm fester um seine Taille, drückte ihr Gesicht in sein frisches Hemd, das sauber gewaschen und nach ihm roch. Eine Wohltat in diesem entsetzlichen Raum. »Wenn alles in Ordnung ist, solltest du dich jetzt entspannen und schlafen. Was nützt du mir sonst morgen?«
    Sie hatte ihn zum Lachen bringen wollen, doch er reagierte nicht.
    Ein Baby begann zu weinen, und während die Mutter versuchte, es zu beruhigen, fing ein etwas älteres Kind ebenfalls an. Die Kleinen waren kaum ein Jahr auseinander, und die Frau hatte sichtlich noch weiteren Nachwuchs.
    »Ich begreife nicht, warum die Leute unter solchen Bedingungen Kinder in die Welt setzen«, meinte er mit leiser Stimme. »Gütiger Himmel, ich wusste schon mit vierzehn, wie man eine Schwangerschaft verhindert. Und es kostet nicht einmal viel.«
    Sie kam hoch und stützte sich mit dem Ellbogen ab, um ihn anzuschauen. »Wirklich? Ich hatte ja keine Ahnung.«
    »Wenn nur meine Mutter …« Er stockte und murmelte leise irgendetwas vor sich hin, was sie nicht verstand. Sie fragte sich, ob sie ihm seine Verlegenheit wohl hätte ansehen können, wäre es heller gewesen. Selten hatte sie ihn so freimütig erlebt. War er vielleicht der Meinung, seine Mutter hätte weniger Kinder gebären sollen?
    Unwillkürlich strich sie ihm das dunkle Haar aus dem Gesicht, um seine Miene besser erkennen zu können. Er holte tief Luft, hinderte sie aber nicht daran. »Ich habe Mitleid mit diesen Frauen«, murmelte sie, während sie weiter sein weiches Haar streichelte. »Sie hatten wahrscheinlich keine andere Wahl. Für mich ist es am schlimmsten, Menschen so husten zu hören wie diese hier.«
    Er warf ihr einen besorgten Blick zu. »Natürlich! Und dann bringe ich dich ausgerechnet an diesen Ort, obwohl ich weiß, wie anfällig …«
    »Nein, du verstehst mich nicht. Ich habe keine Angst um mich selbst. Ich musste vor langer Zeit lernen, dass man manchmal wenig gegen Krankheit ausrichten kann, doch ich hatte meine Eltern, die sich um mich kümmerten und alles dafür taten, damit es mir wieder besser ging. Diese armen Leute dagegen können ihren

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