Ein verführerischer Akt
Zustand nur erdulden.«
Er sagte nichts, und sie legte den Kopf wieder auf die zusammengefalteten Kleidungsstücke, die sie als Kissen benutzten.
»Du bist ein guter Mensch, Rebecca«, sagte er leise.
Lächelnd kuschelte sie sich fester an ihn.
Sie hoffte, dass sie nach dem heutigen ereignisreichen Tag trotz der wenig einladenden Umgebung schnell einschlafen würde, bis sie einen Mann stöhnen hörte. Allerdings nicht so, als ob er Schmerzen hätte, sondern es klang eher … lustvoll. Sie lauschte, und dann vernahm sie neben dem Weinen eines Babys auch das Stöhnen einer Frau.
Spontan flüsterte sie: »Machen sie etwa …« Sie stockte und bedauerte es, derart Intimes überhaupt angesprochen zu haben.
»Sicherlich. Schließlich sind sie hier zu Hause.«
Sie vergrub ihr vor Verlegenheit glühendes Gesicht zwischen seinen Schulterblättern und hielt sich die Ohren zu. Julian bemerkte es und schüttelte sich vor Lachen. Sie versetzte ihm einen ärgerlichen Klaps. Wie konnte er sich darüber amüsieren, wenn keine drei Meter von ihnen entfernt etwas so absolut Privates vor sich ging! In ihrer Welt musste ein Mann eine Frau sofort heiraten, wenn er nur dabei erwischt wurde, sie zu küssen.
Das Pärchen wurde noch lauter, und hinzu kam ein merkwürdig dumpfes Geräusch, das sie nicht zu entschlüsseln vermochte. Sie überlegte schon, Julian danach zu fragen, unterließ es dann aber.
Angespannt lagen sie nebeneinander, sie weiterhin an ihn gedrückt, obwohl es ihr in diesem Moment nicht richtig schien, ihn zu berühren, doch wo sollte sie sonst hin?
Als sie bereits dachte, dass die Geräusche kein Ende mehr nehmen würden, stöhnte der Mann ein letztes Mal laut, und es wurde ruhig.
Sie stieß einen leisen Seufzer aus und nahm die Hände von den Ohren. Noch immer fassungslos schlief sie endlich ein.
Am Mittag fand Rebecca ein schattiges Plätzchen auf dem Fischmarkt. Sie saß auf einem großen Stein, von dem aus man einen guten Blick auf den Kanal und die Frachtkähne hatte, die die Menschen und Fabriken von Manchester mit Gütern versorgten. Kurz erhaschte sie einen Blick auf Julian, der eine offene Kiste mit Fisch auf der Schulter balancierte und von einem der Kähne stieg, um in einem der Lagerhäuser zu verschwinden.
Sie versuchte, ihre Schuldgefühle zu verdrängen, denn sie wusste, dass sie ihn damit reizen würde. Er war froh, diesen Job bekommen zu haben, um wieder zu etwas Geld zu kommen, das sie dringend brauchten. Aber sie fühlte sich nutzlos, weil sie nichts dazu beitragen konnte. Als sie in der Früh vor Tagesanbruch, während sie Kaffee tranken und Brot an einem kleinen Stand aßen, mit ihm darüber zu sprechen versuchte, hatte er sie nur ausgelacht. Wirklich, sie lernte viel in diesen Tagen.
Als sie ihre Unterkunft verließen, kamen andere gerade von der Nachtschicht in den Fabriken nach Hause und übernahmen die Betten der Arbeiter von der Tagschicht – eine Möglichkeit, Geld zu sparen, die sie schaudern ließ. Für diese Leute hingegen war ein Leben wie ihres vermutlich kaum vorstellbar. Genug Angestellte und Pächter zu haben, die die Arbeit erledigten und das Land bestellten, und genug Geld, um ein sorgenfreies Leben zu genießen – Rebecca begann mehr und mehr ein Gefühl der Dankbarkeit zu empfinden.
Julian schien überhaupt nicht müde zu werden. Alle paar Schritte zwischen Lagerhaus und Kahn sah er zu ihr hoch, um sie im Blick behalten zu können. Deshalb verzichtete sie auch darauf, zwischen den Ständen herumzuschlendern und die ausgestellten Waren anzusehen, denn dann wäre sie außerhalb seines Sichtfelds gewesen.
Schade nur, dass sie sich nichts von den verlockenden Früchten kaufen konnte, doch vor allem die Apfelsinen, die es ihr besonders angetan hatten, kosteten mehr, als sie sich leisten konnten.
In seiner Mittagspause aßen sie Schinkenbrote und tranken Cider. Er verschlang sein Essen so gierig und so schnell, dass sie insgeheim wünschte, ihm mehr vorsetzen zu können nach so vielen Stunden harter Arbeit. Schließlich musste er völlig ausgehungert sein. Sie bot ihm die Hälfte von ihrem Brot an, aber er nahm das Angebot nicht an.
Stattdessen lehnte er sich mit dem Rücken an den Findling, auf dem sie fast den ganzen Vormittag gehockt hatte. »Ich kann mir vorstellen, dass du vor Langeweile fast umgekommen bist«, murmelte er mit geschlossenen Augen.
»Das denkst du vielleicht, doch so war es nicht. Es gibt viel zu sehen. Und ohne Anstandsdame fühle ich mich
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