Ein verführerischer Akt
zusammengezogenen Brauen und den massigen Schultern wirkte er höchst bedrohlich. Doch sie hatte keine Angst vor ihm.
Sie war wütend auf sich selbst, weil sie vor dem brennenden Gebäude gewartet hatte, während er sich in Gefahr begab und sie nicht wusste, ob sie ihn wohl je wiedersehen würde. Er hatte sie mit seiner Fürsorge überhäuft, genau wie auch ihre Familie es zu tun pflegte. Niemand wollte ihr Entscheidungen überlassen. Aber anstatt zu beweisen, dass sie ihm ebenbürtig war, hatte sie die Hände gerungen und starr vor Entsetzen gewartet.
Und jetzt wurde er mit einer Enthüllung konfrontiert, die ihn vielleicht schlimmer traf als alles zuvor. Sie fühlte einen Knoten in ihrer Brust, war voller Mitgefühl für ihn. Zumindest wusste er endlich Bescheid, auch wenn die Wahrheit für ihn schrecklich sein musste. Denn es sah schließlich so aus, als habe sein Onkel den Diamanten an sich gebracht.
Ehe sie etwas sagen konnte, hörten sie aus dem hinteren Teil des Gartens, in der Nähe der Straße, ein lautes Geräusch. Julian sprang auf und rannte los. Das immer höher lodernde Feuer erhellte die Nacht und warf wilde Schatten auf die Gartenmauer. Ein hoher Busch schwankte vor und zurück, obwohl überhaupt kein Wind wehte.
Rebecca kam hoch und beobachtete überrascht, wie Julian sich in den Strauch stürzte und schnell darin hochstieg, um auf die Gasse dahinter sehen zu können. Er zögerte, und einen Moment lang dachte sie schon, er würde über die Mauer springen und verschwinden. Stattdessen ließ er sich wieder zur Erde herab und kehrte zu ihr zurück.
»Was hast du gesehen?«, rief sie.
»Einen Mann am anderen Ende der Straße, der weglief. Es hätte nichts gebracht, ihm hinterherzulaufen.«
»Warum hast du das überhaupt in Erwägung gezogen?«, fragte sie.
»Ich glaube, man hat ihn zurückgelassen. Vielleicht sollte er sicherstellen, dass niemand lebend aus dem Haus herauskam. Er könnte zudem den Auftrag gehabt haben, nach uns zu suchen.«
Sie schluckte schwer, und ein Schauer lief ihr über den Rücken. »Auf Befehl von … Windebank?«
Julian zuckte die Achseln und schwieg.
Sie richtete den Blick auf die arme tote Frau. »Wir müssen etwas für sie tun.«
»Es ist zu spät, um ihr noch zu helfen, Rebecca.«
»Aber …«
»Man wird annehmen, dass sie es noch geschafft hat, aus dem Haus zu kriechen, und dann erst gestorben ist. Wir dürfen uns da nicht hineinziehen lassen. Kannst du dir vorstellen, wie viele Fragen man uns stellen würde?«
»Immerhin kennen wir ein paar Antworten! Es ging die ganze Zeit um …« Sie stockte und legte eine Hand auf den unter ihrer Kleidung verborgenen Diamanten. Sie hatte fast das Gefühl, dass er ihr die Haut versengte, dass ihm, weil seinetwegen Menschen sterben mussten, etwas Böses innewohnte.
»Windebank wird schon bald erfahren, dass wir hier sind. Wir dürfen keine Zeit verschwenden, sonst findet er noch eine Möglichkeit, der Strafe zu entgehen. Und willst du, dass alle Welt erfährt, dass wir zusammen in der Sache drinstecken?«
»Es geht hier nicht um uns oder diese unsinnige Rücksicht auf irgendwelche Moralvorstellungen«, fuhr sie ihn wütend an.
»Und ich will nicht, dass wir beide zu Tode kommen!«
Sie starrte ihn an und wusste keine Argumente mehr, um diesen berechtigten Einwand zu entkräften. Entsetzt sah sie mit an, wie er sich hinsetzte und Mrs Eastfield vorsichtig aus seiner Jacke wickelte, damit er sie wieder an sich nehmen konnte.
»Keiner wird wissen, dass wir hier gewesen sind«, sagte er leise, während er Rebecca mit seinen grauen Augen beschwörend ansah. »Komm mit.«
Sie zögerte nicht, denn was hätte es für einen Sinn gehabt, ihm zu widersprechen? Sie ließ es zu, dass er sie hochzog, nach ihrer Tasche griff und ihren Arm nahm, um sie aus dem Garten und schnell weg von dem noch immer brennenden Haus zu führen.
»Wo gehen wir hin?«, fragte sie schließlich. Seine Miene wirkte abweisend, doch sie wollte über das soeben Erlebte sprechen und darüber, was nun aus ihnen wurde. Ob ihm das nun passte oder nicht.
»Das Gasthaus, wo uns das Fuhrwerk abgesetzt hat, können wir uns nicht leisten«, erklärte er.
»Gibt es denn noch schlimmere Absteigen?«, fragte sie leicht sarkastisch.
Er nickte. »Eine Unterkunft im Armenviertel der Stadt.«
»Bekommen wir dort etwas zu essen?«
Endlich schien er sie wieder wahrzunehmen. »Nein. Wir werden uns ein Wirtshaus suchen, nachdem wir ein Quartier für die Nacht gefunden
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